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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1904)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0067

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Volkstagen bringen dort Familien
oft den ganzen Tag im Schaugelände
zu. Ferner erfahren wir Genaueres
über die englischen Arbeitsmuseen,
die dank Ruskin drüben schon viel
länger wirksam sind als bei uns,
wenn auch wohl so wirksam noch
nicht, wie sie sein könnten und sollten.
Kurzum, eine Menge Material und
Anregungen in Fülle. A

G „Künstlerleinwand"

Seit einiger Zeit führen die deut-
schen Buchbinder ein unter der Be-
zeichnung Künstlerleinwand laufendes
sehr hübsches Einbandmaterial, das
so aussieht wie die Leinwand, mit
der man in England die Bücher so
hübsch zu binden Pflegt. Wir haben
also anscheinend endlich das, was
man dort schon lange haben konnte,
zumal auch leidliche Farben zur Aus-
wahl stehen. Sieht man sich diese
Leinwand aber genauer an, so ent-
puppt sie sich als eine gemeine Jmi-
tation. Was man für Fäden hielt,
ist in Farbendruck in mehr oder
weniger täuschender Weise auf Kaliko
aufgedruckt, und man kann die ganze
Herrlichkeit mit dem nassen Finger
wegwischen. Also wieder ein Triumph
unserer deutschen Jmitationskunst!
Die natürlichen Fäden des Stoffes
zu zeigen, genügt nicht, man druckt
auf die wirklichen künstliche. Wahr-
scheinlich wird der Stoffbedarf für
jedes Buch dadurch um zwei Pfen-
nige billiger; aber man findet das
gewiß außerdem auch feiner, es wird
ja viel eleganter und genauer!

Das Eigentümliche ist, daß selbst
die Buchbinder den Schwindel nicht
merken. So blind sind wir in Deutsch-
land gegen den Materialcharakter ge-
worden. Ja selbst in einer Buch-
binderfachschule, in der auch ein Unter-
richtsgegenstand „Materialkunde" be-
steht, hatte man keine Ahnung, daß
die Textur der Leinwand nur auf-
gedruckt war. Wann wird gegen all
solches Scheinwesen das deutsche Ge-

wissen erwachen? Wann werden unsre
Maler aufhören, unsere Blechbade-
wannen mit Marmorimitation, unsere
Türen mit Holzmaserung zu bemalen,
wann wird der Scharfsinn unserer
Fabrikanten sich auf andre Gebiete
lenken als auf die Jmitation von
Leder aus Papier, von Elfenbein
aus Celluloid, von Holz aus Pappe,
von Leinwand aus Kaliko? Nicht
eher jedenfalls, als bis wir einen
Stamm von künstlerisch empfinden-
den, aufrichtigen Menschen haben,
die den Schein zurückweisen. Früher
waren die Fachleute, d. h. die Hand-
werker und Kaufleute darauf bedacht,
daß sie nur Echtes und Gutes lie-
ferten. Heute muß das Publikum
gegen, diejenigen Front machen, die
ihm, wenn wir noch eine gesunde
Kultur hätten, Führer und Berater
sein sollten. H ermann Muthesius
G Zur Drahtkultur
Wir lesen in einem Tageblatt:
„Ein Riesenedelweiß wird auf der
Virglwarte angebracht. Es hat einen
Durchmesser von drei Metern und
enthält 500 Glühlampen. Dieses
leuchtende Edelweiß wird an den
Festabenden des Alpenvereins vom
Virglberge herabgrüßen."

Jst das nicht ein köstliches Bei-
spiel unserer Drahtkultur? Das Edel-
weiß gilt für die herrlichste Pflanze
der Alpenwelt, deshalb haben's die
Alpenvereine zu ihrer Wappenblume
gewählt. An den steilsten Hängen in
stillstem Reize leuchtet es wie ein
Symbol des Zaubers der Einsamkeit.
Und nun Pflanzt man's in drei Me-
tern Größe mit fünfhundert Glüh-
lampen auf, daß es, solange es
brennt, also, solange man's über-
haupt sehen kann, den Reiz eben der
Alpen totschreit, deren Schönheit die
Alpenvereine feiern wollen!

G Fortschritte der Reklame
Als wir vor einigen Jahren emp-
fahlen, das öffentliche Abdrucken ohne
Verantwortlichkeit niedergeschriebener

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