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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1904)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0068

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Stellen aus Privatbriesen zu Rekla-
mezwecken doch lieber den Fabrikanten
von Bandwurmvertreibungs- und
Bartwuchsbeförderungs - Mitteln zu
überlassen, gab das zu einer Polemik
Anlaß, deren sich unsere älteren Leser
noch erinnern. Die Neuerung aber
leuchtete vielen ein.

Strebsame Verfasser gehen seitdem
vor der Veröffentlichung ihrer Bücher
Träger von „Namen" um Privat-
urteile an, um diese dann auf ihre
Waschzettel abzudrucken. Ja, die Welt
wird schöner mit jedem Tag. Heute
liegt ein Gedichtbuch von P. Koch
vor uns, „Jch singe wie der Vogel
singt", und aus seiner vordern Um-
schlagseite sowohl wie auf dem inneren
Titelblatt steht, so denken wir
zunächst, ein Motto. Es ist aber
keins. Es ist die Mitteilung, daß
Rosegger in diesen Versen Gemüts-
tiefe gefunden und daß „Rückert-
forscher Hofrat Prof. Or. Beyer" ge-
schrieben hat: „Jch freue mich Jhres
ausgehenden Sternes." Womit der
neue Reklame-Rekord des Mannes,
der wie der Vogel singt, geschlagen
werden kann, das wissen wir nicht.
Unsre jungen Lyriker müßten denn
künftig Müzen- oder Heiratsgesuche
unter Hinweis auf die beigebundenen
Zeugnisse von Gemütstiefe mit auf
die Titelblätter setzen.

Und wie hätte sich Bong, der
Gong-Bong aus Berlin, den großen
neuen Gedanken entgehen lassen sollen!
Er verband ihn sofort mit der nun
schon allgemeinen Erkenntnis der
seligen Schweizerpillen, daß Annoncen
das Geschäft machen, und wo hätten
wir in diesem Sommer das gewaltige
Jnserat über den gewaltigen „Götz
Krafft" (eigentlich sollt' er sich
„Kraffft" schreiben), den „Roman
unserer Zeit", nicht gefunden? „Ur-
teile über Götz Krafft", steht darin,
und nun kommen in langen Reihen die
Namen der auf des Herrn Versassers
Anschreibebrief Hineingefallenen, so-

weit sie sich später genierten, die Ver-
öffentlichung ihrer unvorsichtig höf-
lichen Antwort zu verbieten. Wem
die großen Namen um den Kopf
brummen, liest der überhaupt die
Urteile erst? „Paul Heyse" — alle
Wetter, der ist auch davon entzückt?
Je nun, seines Briefes Ausbeute be-
sagt, daß ihn die Gesinnung des Hel-
den angenehm berührt habe. Schön-
aich-Carolath? Je nun, er crkennt
ein ehrliches Wahrheitssuchen an. Jm
übrigen wird sich, wer unsere literari-
schen Verhältnisse und insbesondere
den Hochdruck kennt, mit dem von
Bong aus um diese Ernte gearbeitet
worden ist, über nichts mehr wun-
dern, als über die Kümmerlich-
keit ihres Ausfalls. Wenn Leo
Leipziger, Balduin Möllhausen, Bern-
hardine Schulze-Smidt, Bruno Gar-
lepp und Wilhelm Wolters schon als
Ruhmes-Paten herhalten müssen! Tut
nichts, prüft denn das Publikum?
Es sieht eine Reihe settgedruckter
Namen, von denen einige „berühmt"
sind, fragt nicht viel, „wie das ward",
und kauft eines der widerlichsten
Bücher unsres Markts. Jst erst eine
große Auslage erreicht, so kauft's auch
schon eben deswegen, und der „sen-
sationelle Erfolg" ist da. Er verbürgt
den weiteren Bänden ein Massenge-
schäft so gut wie der älteren Bong-
schen Tochter, der „Berliner Range",
und so ist durch das Bum-Bum beim
Eintritt in die erste Tür auch der Be-
such der weiteren Schreckenskammern
mit neuem Eintrittsgelde „gemacht".

G Unsre neue typographi-
sche Ausstattung, die neben
edleren Jllustrationstechniken und
textlichen Verbesserungen den jetzt be-
ginnenden Kunstwart-Jahrgang von
den früheren unterscheiden wird, ist
noch nicht in allen Einzelheiten fertig.
Wird sie unseren Freunden überhaupt
gesallen? Es ist ja immer mit einer
gewissen Unlust verbunden, von einer
gewohnten Erscheinung loszukommen,

j. Oktoberhest 5ö
 
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