füllen. Zu leisten sind aus der Bühne die üblichen schematisierten
Bein- und Armbewegungen und einige Körperverrenkungen. Man
muß sich die vorgeschriebenen, eingepaukten Gruppierungen und die
Musik dazu merken. Das ist das Wesentliche. Schließlich muß man
sich in das übliche Ballettkostüm werfen, das den Körperbau möglichst
entstellt, auf ein Paar in Trikots gesteckte Beine einen Bausch von
Gaze und ein gespreiztes Röckchen setzt und den Leib nach Möglichkeit
zusammenschnürt. Kurz: was wir heutzutage als das übliche Ballett
bezeichnen können, ist sinnlose und widerliche Unnatur in der Be-
handlung des Körpers und in der Bewegung seiner Teile.
Jst das eigentlich immer so gewesen? Jedenfalls nicht bei den
Griechen. Aber auch später nicht, nachdem durch die Renaissance die
Freude an der Schönheit des menschlichen Körpers und seiner künst-
lerischen Darstellung im Bild und in der Bewegung wieder lebendiger
gemacht worden war. Auf der Bühne hat das Ballett eine Rolle ge-
spielt, die sich in ihrer ganzen Bedeutung erst würdigen lassen wird,
wenn die Geschichte der italienischen und französischen Oper allgemeiner
bekannt ist. Welcher Reichtum an Formen da vorhanden war, davon
haben die meisten Musiker der Gegenwart keinen Begriff. Und schließ-
lich gibt doch die Musik, das heißt der künstlerische Wert der Musik
den Maßstab sür den Wert der Tanzkunst, wie sie das s8. Jahr-
hundert etwa aus der Bühne pflegte. Die Komponisten würden nicht
ihre beste Kunst an Dinge verschwendet haben, die künstlerisch minder-
wertig waren. Wir müssen annehmen, daß in der feinen, hösischen Kul-
tur, für die sehr viele dieser Opern bestimmt waren, und in der südlichen
Atmosphäre, die die Heimat dieser Kunst war, die Schönheit auch im
Ballett Triumphe gefeiert hat, sür die jetzt die meisten Menschen nicht
einmal das Verständnis hätten.
Bisher sind aus dem reichen Schatze dieser künstlerischen Ballett-
musik nur einzelne Stücke im Konzertsaal wieder benutzt worden.
Hermann Kretzschmar hat Ballettmusiken aus verschiedenen Opern von
Rameau herausgegeben, ebenso Stücke aus Glucks „Don Juan".
Die Tanzkunst unserer Tage hat noch nicht gewagt, sich mit
derartig großen Aufgaben, wie sie z. B. diese Musik Glucks bietet,
ernstlich zu beschäftigen. Und doch lägen hier Aufgaben vor, an denen
vor allen Dingen das gelernt werden könnte, was Wagner sordert:
die Sprache aller Gebärden des Leibes.
Jch habe eben zehn ausgewählte Orchestersätze von Joh. Adols
Hasse, dem ein Jahrhundert lang verkannten großen Künstler, der
auch ein Meister des Ausdrucks war, neu herausgegeben (Leipzig, bei
C. A. Klemm). Darunter ist die Ballettmusik aus dem zweiten Akt
des Intsrm622o traAieo ,,?mamo g D8Ü6". Die beiden Ballettmusiken,
auch die des ersten Aktes, enthalten Aufgaben, gegenüber denen unsere
jetzige Tanzmeisterei völlig versagt, die nur lösbar sind auf dem durch
Jsadora Duncan beschrittenen Wege. Es wäre eine Ausgabe, die großer
Künstler würdig wäre, dieses auch in seinen Gesangpartieen wunder-
volle Jntermezzo ganz im griechischen Stile auszusühren. Was hier
Gesangskunst und Gebärdenspiel schon bei den Darstellern der drei
Partieen leisten könnten, würde wohl beweisen, daß das Zusammen-
arbeiten von Sprache, Musik und Gebärde auch schon für jene Kunst
68
RunstwarL XVIII, Heft 2
Bein- und Armbewegungen und einige Körperverrenkungen. Man
muß sich die vorgeschriebenen, eingepaukten Gruppierungen und die
Musik dazu merken. Das ist das Wesentliche. Schließlich muß man
sich in das übliche Ballettkostüm werfen, das den Körperbau möglichst
entstellt, auf ein Paar in Trikots gesteckte Beine einen Bausch von
Gaze und ein gespreiztes Röckchen setzt und den Leib nach Möglichkeit
zusammenschnürt. Kurz: was wir heutzutage als das übliche Ballett
bezeichnen können, ist sinnlose und widerliche Unnatur in der Be-
handlung des Körpers und in der Bewegung seiner Teile.
Jst das eigentlich immer so gewesen? Jedenfalls nicht bei den
Griechen. Aber auch später nicht, nachdem durch die Renaissance die
Freude an der Schönheit des menschlichen Körpers und seiner künst-
lerischen Darstellung im Bild und in der Bewegung wieder lebendiger
gemacht worden war. Auf der Bühne hat das Ballett eine Rolle ge-
spielt, die sich in ihrer ganzen Bedeutung erst würdigen lassen wird,
wenn die Geschichte der italienischen und französischen Oper allgemeiner
bekannt ist. Welcher Reichtum an Formen da vorhanden war, davon
haben die meisten Musiker der Gegenwart keinen Begriff. Und schließ-
lich gibt doch die Musik, das heißt der künstlerische Wert der Musik
den Maßstab sür den Wert der Tanzkunst, wie sie das s8. Jahr-
hundert etwa aus der Bühne pflegte. Die Komponisten würden nicht
ihre beste Kunst an Dinge verschwendet haben, die künstlerisch minder-
wertig waren. Wir müssen annehmen, daß in der feinen, hösischen Kul-
tur, für die sehr viele dieser Opern bestimmt waren, und in der südlichen
Atmosphäre, die die Heimat dieser Kunst war, die Schönheit auch im
Ballett Triumphe gefeiert hat, sür die jetzt die meisten Menschen nicht
einmal das Verständnis hätten.
Bisher sind aus dem reichen Schatze dieser künstlerischen Ballett-
musik nur einzelne Stücke im Konzertsaal wieder benutzt worden.
Hermann Kretzschmar hat Ballettmusiken aus verschiedenen Opern von
Rameau herausgegeben, ebenso Stücke aus Glucks „Don Juan".
Die Tanzkunst unserer Tage hat noch nicht gewagt, sich mit
derartig großen Aufgaben, wie sie z. B. diese Musik Glucks bietet,
ernstlich zu beschäftigen. Und doch lägen hier Aufgaben vor, an denen
vor allen Dingen das gelernt werden könnte, was Wagner sordert:
die Sprache aller Gebärden des Leibes.
Jch habe eben zehn ausgewählte Orchestersätze von Joh. Adols
Hasse, dem ein Jahrhundert lang verkannten großen Künstler, der
auch ein Meister des Ausdrucks war, neu herausgegeben (Leipzig, bei
C. A. Klemm). Darunter ist die Ballettmusik aus dem zweiten Akt
des Intsrm622o traAieo ,,?mamo g D8Ü6". Die beiden Ballettmusiken,
auch die des ersten Aktes, enthalten Aufgaben, gegenüber denen unsere
jetzige Tanzmeisterei völlig versagt, die nur lösbar sind auf dem durch
Jsadora Duncan beschrittenen Wege. Es wäre eine Ausgabe, die großer
Künstler würdig wäre, dieses auch in seinen Gesangpartieen wunder-
volle Jntermezzo ganz im griechischen Stile auszusühren. Was hier
Gesangskunst und Gebärdenspiel schon bei den Darstellern der drei
Partieen leisten könnten, würde wohl beweisen, daß das Zusammen-
arbeiten von Sprache, Musik und Gebärde auch schon für jene Kunst
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RunstwarL XVIII, Heft 2