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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1904)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0104

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spricht, von Zeit zu Zeit in ein dünnes Bnch blickend, mit langsamer,
rhythmisch stark getragener Stimme die solgenden Verse):

Doch dies mein Schicksal geh, wohin es will.

Für sie, die Kinder, sür die männlichen
Für mich nicht sorge, Kreon. Sie sind Männer,

Daß Mangel nie sie haben werden, wo
Sie sind im Leben. Meine mühesel'gen
Erbarmungswerten Jungfraun aber, denen
Nie leer von Speis und ohne unser einen
Mein Tisch war —

(Die große Tür öffnet sich etwas, zwei Hände fahren dnrch den Spalt
und klatschen.)

Vult (länft rufend nach der Tür): Frieda! Hör mal! (Er öffnet
die Tür.)

Frieda (blond, frei, klar, steht lachend aus der Schwelle): Woher
wußtest du denn, daß ich es war?

Vult: Jch sah ja deine Hände! Komm herein!

Frieda: O nein! Das schickt sich nicht.

Vult: Nur einen Augenblick! Komm!

Frieda (scherzend): Mich dünkt . . . ich müßte erst die Mama um
Erlaubnis fragen!

Vult: Du, jetzt sei aber artig! Was tust du üöerhaupt hier oben,
wenn ich fragen darf? Wie? Das ist meine Burg hier, verstehst du? Hier
habe ich zu befehlen! Also: vorwärts, herein! (Er saßt Frieda bei der
Hand und zieht sie ins Zimmer.) So! (Legt die Tür an.) Was wolltest
du hier oben?

Frieda: Jch suche verzweiflungsvoll Ella.

Vult: Ella ist mit Papa in der Kirche.

Frieda (sieht nach der Uhr): Da kann ich sie gerade noch abholen.
Sag mal, wen spielst du denn da?

Vult (lacht): Einen armen, alten Mann, der sich die Augen aus-
gestochen hat.

Frieda: Wie schrecklich!

Vult: Ja, das ist auch schwer zu spielen — ein Blinder. Da muß
die Seele bis in die Fingerspitzen dringen! (Hebt das Buch in die Höhe.)
Was ich hier überhaupt habe!

Frieda (saßt nach dem Buch): Zeig mal!

Vult: O nein! Jetzt haben wir keine Zeit dazu. Das ist nämlich
sehr schön, verstehst du!

Frieda: Nun sag doch, was es ist!

Vult: O nein, nicht jetzt, spüter. Das ist nämlich zu schön! Ver-
stehst du!

Frieda: Gut, wie du willst! Vielleicht werde ich aber später keine
Zeit haben! Adieu also!

Vult: Du befindest dich in einem großen Jrrtume, meine liebe Frieda,
wenn du glaubst, daß ich dich halten werde! Jch habe noch sehr viel zu
tun heute. (Frieda will herauslaufen, Vult fängt sie aus.) Halt, halt!
Nur noch eine Bitte habe ich: Mach einmal deine Augen zu.

Frieda: Warum denn?

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