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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1904)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0124

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von Bergen (verzweifelt): Weißt du denn überhanpt, ob du
Talent hast?

Vult: Was geht mich Talent an — ich habe die Liebe — Talent
ist ein Feuer, hier, das in der Brust brennt.

von Bergen: Es ist ja wie Wahnsinn, daß du all deine Kennt-
nisse, all deine Bildung, deine ganze, über den Durchschnitt weit hinaus-
ragende Persönlichkeit in einen Beruf werfen willst, der der berüchtigte
Hafen aller verkommenen Existenzen ist. Wahnsinn!

Vult: Einmal hast du nicht recht — es ist nicht so, und wenn es
so ist, wieviel mehr Grund für mich! Wie unendlich viel mehr Grund sür
mich: dann wird es eben so gewesen sein!

von Bergen: Du sprichst, als ob du ein Genie wärest!

Vult: Was weiß ich, ob ich ein Genie bin — aber laß es mich doch
ausprobieren — zum Teufel!

von Bergen: Nur daß dein Leben dabei zugrunde gehen könnte!
Darum ist es ja gerade meine Vaterpflicht, dich daran zu verhindern. Jch
müßte dich ja nicht lieben wie mein eigen Fleisch und Blut, wenn ich dir
ein solches Experiment gestatten wollte.

Vult: Leben! Leben! Was nennt ihr denn Leben? Was habt ihr
denn aus dem großen, heiligen, mächtigen Leben gemacht? Eingesperrt habt
ihr es. — Es könnte ja vielleicht zerstören! Laß mich doch an meinem Versuch
zugrunde gehen — dann werde ich wenigstens gelebt haben, mit meinem
heißen Blut gelebt als ein Mensch . . .

von Bergen: Du sprichst wie ein Kind über die Welt, mein Sohn,
und sehr theoretisch über das Leben! Das hat eiserne Fäuste, du!

Vult (fast schreiend): So soll es mich packen!

von Bergen: Wenn du nicht zufällig einen wohlhabenden Vater
hättest, würdest du gar nicht auf solche Gelüste, dein Leben zu betätigen,
kommen können . . . Jedenfalls laß uns jetzt zum Ende kommen, Vult.
Alle diese Erörterungen sind mir peinlich — es ist etwas Unrechtes daran.
Du sagtest vordem, du seist entschlossen, deinen Willen auch gegen den
meinen durchsetzen, denn das heißt es ja wohl, wenn du sagst, du wollest
auch ohne meine Erlaubnis handeln. Jch ziehe daraus den Schluß, daß
du eine ganz andere, mich tief schmerzende, mich tief erschütternde Auf-
fassung von der Beziehung des Kindes zum Vater hast. Andernteils ersehe
ich aus deiner Leidenschaftlichkeit, daß du immerhin inniger an dem hüngst,
was du deinen Beruf nennst, als ich es nachzufühlen vermag. Jch will
also nicht mehr von Verbot und Erlaubnis sprechen, Vnlt — sondern von
deiner Liebe, Vult. Jch erwarte von deiner Liebe zu mir, daß du mir
dieses Opfer bringst, — das ich ja ebensogut auch von dir erzwingen könnte.

Vult: So lantet es immer, Vater. Wo du hinhörst, lautet es so,
Vater. Erst die Kindespflicht, dann die Kindcsliebe. Das ist Elternjargon!
Und sie ist doch zu schade dazu! Sie sollte nicht so herabgezerrt werden zum
Zwangsmittel. Sie ist doch zu schade dazu! — Meine Liebe kann dir dieses
Opfer nicht bringen, Vater! (von Bergen steht auf.) Deine Liebe zu mir
ist mir zu heilig, Vater, als daß auch ich sie nun herbeirusen möchte . . .
(Mit leidenschaftlicher Jnnigkeit.) Jch habe dich lieb, Vater, viel lieber,
als man nur einen Vater liebt. (Fast weinend.) Jch, ich habe dich wirklich
lieb! . . . (Beherrscht sich.) Aber ich kann nicht! Jch werde im Januar nach
Berlin reisen und mich umsehen, was ich für meine Angelegenheit tun kann.

t02 Runstrvart LVIII, Lstft 2
 
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