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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1904)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0127

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Die Rasse und der Rhythmus wer-
den diese zu interkontinentaler Kul-
turbedeutung erheben, oder aber sie
wird nicht sein. Die Rasse, denn es
gibt zwei Rassen in Deutschland, es
gibt den Dentschen und — nicht den
Jnden oder Polen, den Slaven oder
Kelten, sondern: der Eine will —
„ein Andrer will nicht! Deutsche
Kampfeslust führt nach dem Schwerte
— doch ein Andrer fällt ihm in den
Arm . . . Wohin wir uns wenden,
da ist er, der Andere. Seit hundert
Jahren fast ist er unser Hausgsnoß.
Seit hundert Jahren haben wir ihn
gehaßt, seit hundert Jahren war uns
nichts ekelhafter als er. Aber wir
duldeten ihn, weil die Schwächlinge
unter uns ihn liebten, weil Ge-
lehrte und Schulmeister und etwelches
Federvieh uns lehrten, ohne ihn seien
wir verloren . . . Jetzt sitzt er uns
am Herzen, — und jetzt reißen wir
ihn weg. Es ist der Entartete."

Aber diese „deutschen Chinesen"
sollen ja nicht kurzweg an die inter-
nationale Luft gesetzt werden, sie
sollen Rhythmus kriegen. Wie ge-
schieht das? Dadurch, daß sie die
Kultur, die Lebensform der Edelrasse
sich aneignen. „Hier, nicht in dem
fiktiven Urahn, ist die Rasse »rein«,
hier, in den Jndividuen, welche die
von unvordenklichen Zeiten an wir-
kende Rhythmik in der Gestalt des
Leibes, in den Zügen des Antlitzes,
in den Formen ihrer Bewegungen,
ihres Betragens, ihres Schaffens, in
der ganzen Kurve ihres Lebens am
ausdrucksvollsten, am sonderlichsten
zur Darstellung bringen ... Der
Rhythmns ist die Rasse." Gott-
lob, nun wissen wir's.

Und der Kaiser? Er ist der aller-
größte Rhythmiker, denn er stieß das
eiserne Schiff in die See, „er hat
damit das »deutsche Denken« ver-
ändert". Seine Politik, nicht seine
Kunstpflege ist für die deutsche
Kultnr, will sagen: den deutschen

Rhythmns entscheidend; „eine Politik,
welche den Stolz auf das eigene
Volkstum entflammt, welche in Mil-
lionen die Lust erweckt, diesen Stolz
auch durch bleibende Formen zu
manifestieren, und welche das Volks-
ganze so müchtig und so reich macht,
daß es aus dem Ueberfluß heraus
mit vollen Händen schöpfen und ge-
stalten kann". Das ginge wohl, denn
wir wissen ja aus den Märchen,
daß, wenn nichts mehr helfen will,
aber der Kaiser befiehlt, so hilft
das gleich und alles freut sich des
Lebens. Jmmerhin, es muß doch
für einen richtigen Kaiser nicht so
leicht sein, das Befehlen. Denn sonst
müßten wir ja alle längst im großen
Rhythmus leben, Rasse sein in Kultur
und Kunst, und den „Andern" kalt-
gestellt haben. Vielleicht erlebten
wir's, wenn nnser unverantwortlicher
Rhythmikus statt der Feder das
Zepter ergriffe nnd verantwortlicher
Kaiser würde für Kultur und Kunst
in Deutschland.

Das Wunderlichste an der Schrift
ist eigentlich, daß sie in soundsovielen
Blättern ganz ernsthaft erörtert wor-
den ist. <L. Ualkschmidt

G „Aus der modernen Völker-
wanderung" schreibt Max Bitt-
rich unter den Titel seines neuen
Romans „Kämpfer" (Berlin, Coste-
noble, H Mk.). Die Wanderung geht
vom Lande in die Stadt: „Denn
wie aus den Wäldern die Wässer-
lein zusammenrieselten und dann
ausgenützt, nachdem sie schwere Ar-
beit verrichtet hatten, in nichts ver-
flogen, so ging der Menschenzufluß
tagtäglich vom Dorfe nach der Stadt.
Wenn aber die Kraft eines jeden
branchbaren Tropfens ausgenützt war,
so verflogen die Reste und wichen
neuen Opfern." Der alte Bauer To-
bias begreift seine Kinder nicht, die
beide, Sohn und Tochter, dem ranhen
Regimente des Alten und der schwe-
ren Arbeit der Scholle entweichen;

2. Gktobcrheft lsjOH lOS
 
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