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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1904)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0128

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er verflucht sie halb und halb. Der
Sohn wird Unternehmer und arbeitet
sich zäh und tüchtig binnen kurzem
so in die Höhe, daß der Alte Re-
spekt bekommt und sogar Wechsel für
ihn unterschreibt. Als dann die Krisis
kommt und der Krach das Dorf mit-
bedroht, ist der alte Bauernzorn umso
wilder wieder da. Jn letzter Stunde
aber löst sich die Spannung: die
Fran des Sohnes stirbt, nicht ganz
freiwillig, denn seine Schwester ver-
gibt es ihr in der Arzenei und legt
Hand an sich selbst. Eine Jugend-
liebe Karls tritt nun als rettender
Engel für ihn ein und weiß sogar
den Alten zur Versöhnung und zum
Helfen umzustimmen. Weniger gewagt
wird die Fabrik auf neuen Grnnd
gestellt und das Leben der Menschen
in ihr auch: „ ... sie suhren, wie in
ein Neich neuen Glückes, dem Ziel
unserer Völkerwanderung entgegen,
dem Reich der Schlote mit seinen ohne
Unterlaß heranrückenden kampfes-
mutigen Heeren, mit seinen Kämpfern
um ein neues tägliches Brot."

Dies ist der letzte Satz des Buches,
wie der zu Anfang angeführte auch
gleich zu Anfang, auf der fünften
Seite, steht. Mir scheint, beide be-
zeichnen den Wandel in der Stel-
lung, die der Verfasser seiner eigenen
Schöpfung gegenüber einnimmt, ganz
anschaulich: erst ist die Stadt der
große Hexenkessel, der die Existenzen
ins „Nichts" verflüchtigt, dann der
Kampfplatz, auf dem um ein neues
menschenwürdiges Dasein gerungen
wird in ernster Arbeit. Vielleicht
gewänne das Werk an Einheitlichkeit,
wären die Fäden einer solchen Ent-
wicklung gleich von Anfang an klarer
zu spüren. Gewiß soll uns der Dich-
ter beide Seiten der Dinge zeigen,
aber doch möglichst durch ein und
dasselbe Glas, unter demselben Win-
kel seines Gesichts. Dieses Gesicht
ist bei Bittrich ein überaus ehrliches
und es dringt auch ein tüchtiges

Stück weit in die Menschen ein,
so weit freilich erschöpft es sie nicht,
daß man sie alle plastisch und indi-
viduell vor sich sähe. Am überzeu-
gendsten leben der widerhaarige Alte
und auch eine derbe Magd und
spielen sich ein paar städtische Epi-
soden ab, grade der Gestalt aber,
die uns als Uebergangstypus einer
neuen Zeit am nächsten angeht: dem
Landkinde und städtischen Unterneh-
mer fehlt es an persönlicher Form.
Das eigentliche Arbeitermilieu wird
nur flüchtig gestreift, in Szenen und
episodischen Ausschnitten, die nicht
viel zu bedeuten haben.

Aber wie sehr man einschränken
muß, ich möchte doch bitten, dieses
Buch nicht zu übersehen. Jst es kein
Werk aus dichterischer Vollkraft —
Kraft und gesunde Lebensanschau-
ung stecken dennoch in ihm. Der
Arbeiter Karl Fischer hat auf seine
natürlich schlichte Art aus seinem
Leben erzählt, Karl Hauptmann
gab uns in „Mathilde" das ernste
Lebensbild einer Fabrikarbeiterin,
auch einer überschüssigen Kraft des
ländlichen Dorses, und Bittrich ver-
danken wir mindestens eine sesselnde,
heimatlich gefärbte Studie jenes
Unternehmertums, das als die erste
Generation den Uebergang aus der
Ruhe des Dorfes in die Unrast städti-
schen Wagens und Gewinnens zu voll-
ziehen hat. Solche Probleme werden
weder mit einem Schlage noch durch
den Einzelnen gelöst, auch dichterisch
nicht, aber sie wollen exsehen und an-
gefaßt sein. Jndem Bittrich das tat,
hat auch er den Vorwurf entkräftet,
daß unsere Erzähler mit der soziolo-
gisch gewandelten Welt nichts anzu-
fangen wissen. L. Ralkschmidt

G Fritz Reuter hochdeutsch?

Täuscht mich die Erinnerung nicht,
so war schon vor dreißig Jahren
einzelnes von ihm hochdeutsch zu
haben, es ist wieder verschollen. Jetzt
kündigt die Verlagsbuchhandlung zu-

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