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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1904)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0140

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kommenden Geschlechtes. Und gerade
in Berlin ist ja in den letzten
Jahrzehnten durch ein profitgieriges
Unternehmertum blindlings gesündigt
worden.

Leider aber sind diese Erfreulich-
keiten ganz unbeträchtlich klein im
Vergleich mit dem neuen Unheil,
das der Reichshauptstadt droht. Die
Waldverwüstungen um Berlin
schreiten zum Erschrecken fort; man
hat im Osten der Stadt mehr als
5000 Morgen kaltblütig dem Unter-
gange geweiht und denkt jetzt auch
im Nordwesten ein Waldgebiet, un-
gefähr so groß wie den gesamten
Grunewald, zu zerstören. Bei wei-
tem das Schlimmste aber ist, daß
man nun auch an den Grunewald
selber geht, der bei dem riesenhaften
Anwachsen der Stadt schon jetzt die
eigentliche „Lunge" Berlins ist. Das
Landwirtschaftsministerium hat be-
schlossen, 2000 Morgen des Grune-
walds, den ganzen zwischen Havel
und Westend, der neuen Heerstraße
und der Spandauer Chaussee, also
den der Stadt am nächsten gelegenen
Teil, der größer ist als der Tier-
garten, — zu Geld zu machen, näm-
lich „der Bebauung zu erschließen".

Was bedeutet das für das Berlin
von jetzt und was erst für das Berlin
der kommenden Jahrzehnte! Jn
zweifelsüchtigen Herzen ward's schon
bedenklich, als von der Umwandlung
des Grunewalds in einen „Volks-
park" die Rede war. Der Park
bringt nach nord- und niederdeutschen
Begriffen gepflegten Rasen mit sich,
der nicht betreten, und Grün, von
dem kein Hälmchen gepflückt werden
darf, an Blumensträuße schon gar
nicht zu denken — das ist es nicht,
was der Großstädter braucht, wenn
er mit seinen Kindern mal ausspan-
nen will. Nun wird, weil Podbielsky
„seines Erachtens nach" für den Fis-
kus das Geld braucht, der Zukunft
auch der „Park" noch beschnitten!

Statt daß man den Kommenden
sicherte, was sie, ist's einmal Stein
geworden, nie wieder in Baum und
Busch zurückverwandeln können. Und
welche „höhere Gerechtigkeit" gegen
die Stadt und ihre Bewohner liegt
in solcher Entwicklung! Jmmer mehr
Menschen ziehn sich zusammen, und
je mehr ihrer sind und je mehr sie
arbeiten, um so mehr steigt der
Boden ringsum an Wert. Der Dank
aber ist, daß man die Werte, die
die Großstadt geschaffen und die der
Großstädter seit Menschengedenken be-
nutzt hat, ihm nun lächelnd weg-
nimmt, eben, weil er sie erhöht hat!

G Niedersächsisches Trach-
t e n f e st

Niedersachsen hat Ende Septem-
ber sein erstes Trachtenfest gehabt,
es sollte helfen, den Lebensmut
niedersächsischer Kunst aufzufrischen.
Scheeßel, mittwegs zwischen Ham-
burg und Bremen, war auch deshalb
dazu geeignet, weil es Kirchort eines
Landstriches ist, in dem sich alte
Stammesart in Tracht, Bauart und
sonstwie besonders gut erhalten hat.
Der Sonnabend war besonders der
Landbevölkerung gewidmet, indem
folgende Vorträge für die tiesere
Bedeutung dieses Festes Verständnis
erwecken sollten: „Niederdeutsche Bau-
ernkunst" von O. Schwindrazheim aus
Hamburg, „Die Bedeutung der nieder-
sächsischen Volkstrachten" von vr. Leh-
mann, dem Direktor des bis jetzt ein-
zigartigen Altonaer Museums, dessen
Lob schon wiederholt im Kunstwart
gesungen wurde, „Das niedersächsi-
sche Bauernhaus" von Or. Schäfer
aus Bremen, dem Assistenten vom
dortigen Gewerbemuseum. Außerdem
wurde die mit dem Feste verbundene
Ausstellung eröffnet, von der aller-
dings wohl mancher mehr erwartet
hätte. Jm Mittelpunkte des Festes
stand der Festzug, an dem sich die
ländliche Bevölkerung des niedersäch-
sischen Gaues von Bückeburg bis zu

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