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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 4 (2. Novemberheft 1904)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwart für 1905, [3]: Germanistik
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0236

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Ludwig Fulda einen trefflichen Uebersetzer erhalten. Wenn wir dagegen
Üebertragungen des „Nibelungenliedes" empfehlen sollen, so befinden wir uns
in Verlegenheit- Es ist, als ob jede Neubearbeitung ihm den besten Teil
seines Reizes benähme, darum können wir nur raten: Um es zu genietzen,
lerne man flink Mittelhochdeutsch. Golthers verkürzte Ausgabe gibt ein
gutes Gesamtbild. Für die Kudrun wende man sich gleichfalls an den Urtext,
etwa an die Auswahl in der Sammlung Göschen. Für handliche Gesamt-
ausgaben ist auf Hermann Pauls „Altdeutsche Textbibliothek" zu verweisen;
autzerdem mag der Freund unserer älteren Literatur zu den betreffenden Bänden
von Kürschners „Deutscher Nationalliteratur" greifen

Verschiedener Meinung kann man in der Frage sein, ob eslffich lohnt,
einem weiteren Kreise von Gebildeten Anleitung zum Studium des mittel-
alterlichen Dramas zu geben. Jedenfalls aber oerdient das sührende Werk,
Creizenachs „Geschichte des neueren Dramas", durch seine geschmackvolle,
klare Darlegung den Anteil nicht blotz der Fachgelehrten. Als Typus sür das
mittelalterliche geistliche Schauspiel mag das Eisenacher Zehnjungfrauenspiel
vom Jahre 1322 gelten, das uns nach srüheren Uebertragungen von Ludwig
Bechftein, Ettmüller und Frepbe neuerdings in dem „Wartburgliede" von
Felix Freiherrn von Stenglin merkwürdig nahe gebracht worden ist.
Das weltliche Drama Les Mittelalters ist gröheren Anteils sicher, namentlich
in seinen Ausläusern, den Faftnachtsspielen des berühmten Nürnberger
Schusters Hans Sachs, die Edmund Goetze sämtlich in mustergiltiger Weise
herausgegeben hat.

Damit wären wir schon bis ins Reformationszeitalter vorgedrungen.
Wer möchte sich nicht an Luthers Geist erfrischen und an seinem Stile
deutsch d. h. volkstümlich schreiben lernenl Beobachten wir ihn bei Tische,
wenn er im Kreise seiner Familie und seiner Kostgänger Frau Käthes Gerichte
durch seine „Tischreden" würzt, oder belauschen wir ihn, wenn er im Arbeits-
zimmer für erbaulichen und lehrhaften Zweck seine „Fabelsammlung" anlegt
oder zu nicht minder nützlicher Verwendung das Sprichwörterbuch jveröffentlicht
von Ernst Thiele: „Luthers Sprichwörtersammlung") zusammenstellt! Wer
nicht zu einer der umfangreicheren Ausgaben der „Werke" greifen will (die
beste, die Weimarer, wird leider für den Einzelnen sast unerschwinglich teuer),
der halte sich an die sehr verdienstliche kleine Auswahl Neubauers oder zum
mindesten an das Lutherbändchen der Sammlung Göschen. Hat man mit dem
treuen deutschen Mann vertraute Zwiesprache gepflogen, so suche man ein
volles Bild von ihm durch eine der Biographieen zu gewinnen. Ganz sür das
Volk berechnet ist Martin Rades Werk, und auch Georg Buchwalds
„Doktor Martin Luther" gebührt ein Platz im Bücherspinde des evangelischen
Hauses. Arnold E. Bergers durchgeistigte Darftellung, die leider noch
unvollendet ist, gibt die Zeitströmung vortrefflich wieder und braucht hinter
Köstlins grundlegendem Werke wie hinter Koldes reichbelebter Biographie
nicht zurückzustehen. Aber „die" Lutherbiographie ist Adolf Hausraths
glänzendes Buch. Gern schöpft man noch aus der ersten, zeitgenössifchen
Behandlung von Luthers Leben, aus den Lutherpredigten des Joachimsthaler
Pfarrers Johannes Mathesius, herausgegeben von Löfche, der auch die
Hochzeits- und Leichenpredigten dieses srommen Verkünders reformatorifcher
Lehre bequem zugänglich gemacht hat. Ueber Hans Sachs, den Sänger von
der wittenbergischen Nachtigall, unterrichtet man fich gut aus zwei Schriften
Edmund Goetzes oder aus Waldemar Kaweraus Buch „Hans Sachs
und die Reformation"; wie die Fastnachtsspiele, so haben auch die Schwänke
in Goetze einen tüchtigen Herausgeber gefunden. Für Ulrich von Hutten
möchten wir an erster Stelle immer noch auf David Friedrich Strautz ver-
weisen. Von andern Streitern für die Reformation nennen wir besonders Joh.
Fischart, dessen Werke neuerdings von Hauffen veröffentlicht worden sind.
Ganz vorzüglich, obgleich in den engsten Rahmen gezwängt, ist Julius Sah rs
Sammlung; sie enthält eine Auswahl aus Hans Sachs und Fischart,
sowie einen allerdings sehr bescheidenen Anhang über Brant und Hutten.
Den Geist des Reformationszeitalters, wie er uns aus dem Drama entgegen-
tritt, schildert das gediegene Buch von Hugo Holstein „Die Reformation
im Spiegelbilde der dramatischen Literatur". Durch das Auftreten englischer
Schauspielertruppen seit Ende des 15. Jahrhunderts hat das deutsche Drama

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