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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 4 (2. Novemberheft 1904)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwart für 1905, [12]: Geschichte und Kulturgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0341

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vielfach entartet zu einer bloßen Technik der Verarbeitung von Aktenstücken.
Die strenge Beschränkung üer geschichtlichen Betrachtung auf staatliche Vorgänge
verleiht den politischen Geschichtswerken nur zu ost das Gepräge der
Nüchternheit und Gedankenarmur. Jhre großsn Vertreter hat die politische
Historie in einer früheren Zeit gehabt, da sie durch den Hintergrund einer
tlefsinnigen philosophischen Gesamtanschauung geadelt war (Ranke) oder durch
die lebendige Anteilnahme an den staarlichen Kämpfen der Zeit Schwung
erhielt. (Treitschke.) Doch müssen wir in unserer Uebersicht politische Geschichts-
werke schon um deswillen berücksichtigen, weil das naive Geschichtsinteresse
naturgemätz den augenfälligen staatlichen Aktionen besonders gern sich zu-
wendet. —

Ueber die Anfänge des geschichtlichen Lebens besitzen wir aus der Feder
des der Wissenschaft viel zu früh entrissenen Heinrich Schurtz eine glänzende
zusammenfassende Darstellung: „Urgeschichte üer Kultur". Das Buch ist die
reife Frucht umfassender ethnologischer und geschichtlicher Studien. Sein reicher
Bilderschmuck stellt in der Gesamtheit einen wertoollen urgeschichtlichen Bilder-
atlas dar. Zu bedauern ist, daß die sonft so verdienstliche Verlagsbuchhand-
lung (Bibliographisches Jnstitut) es, wie bei den anderen Werken ihres Ver-
lages, so auch bei diesem grundsätzlich ablehnt, einen, wenn auch nur be-
schränkten Raum für die Quellennachweise einzuräumen.

Wen die nationalen Besonderheiten der Geschichte der älteften Kultur-
völker interessieren, der wird mit den 4 ersten Bänden der Helmoltschen
Weltgeschichte (s. u.) auf seine Rechnung kommen. Daneben nennen wir die
mehr populär gehaltene Monographie „Ninive und Babylon" von Karl
Bezold. Bedeutende kritische Leistungen sind Wellhausens israelitische
und jüdische Geschichte und der erste, die orientalischen Völker behandelnde Band
von Ed. Meyers Geschichte des Altertums.

An den älteren Darstellungen der griechischen Geschichte wirkt
für unser Empsinden ermüdend das einförmige Pathos, in dem die Ereignisse
erzählt werden, so z. B auch von Curtius. Unter der Schönrednerei litt die Eiu-
dringlichkeit der Untersuchungen. Von dem Geiste echter Wissenschaftlichkeit ge-
tragen sind dagegen die modernen Darstellungen von Ed. Meyer (Geschichte
des Altertums, Band 2 fs) und von Beloch (Griechische Geschichte). — Tief in
das griechische Seelenleben dringt Erwin Rhode in seiner „Psyche" ein.
Die Abkehr von der früheren panegyrischen Beurteilungsweise kommt deutlich
zum Ausdruck in Jakob Burckhardts .Griechischer Kulturgeschichte"', einem
nachgelassenen Werke, das jetzt in vier Bänden vorliegt. Mit tiefem innerem
Anteil schildert Burckhardt die Kultur der Griechen, aber bei der Zeichnung
ihres politischen Getriebes und dsr Ecscheinungen ihres religiösen Polyrheismus
überwiegen die düsteren Züge. Leider lagen bei Burckhardts Tode nur die beiden
ersten Bände ausgearbeitet vor; die beiden letzten sind aus Grund Burck-
hardtscher Kollegien herausgegeben. — Jn dem Pessimismus der Beurteilung
des griechischen, wie auch ües römischen Verfassungslebens ist Burckhardt
wahlverwandt der ungarische Staatsrechtslehrer und Hiftoriker I. Schvarcz,
in dessen groß angelegtem, leider oft recht schwer geschriebenen Werke „Die
Demokratie" hisher nur das Griechen- und Römertum behandelt ist. Eine
glänzend geschriebene Darstellung der Geschichte Alexanders des Großen hat
Droysen geliefert.

Unter den Darstellungcn der römischen Geschichte wird noch auf lange
hinaus diejenige Mommsens den ersten Platz behaupten. Er gibt mitsouveräner
Beherrschung des Stoffes eine Schilderung der Machtentfaltung des römischen
Volkes von den ersten Anfängen bis zur Kaiserzeit, zugleich mit glänzenden
Ausblicken nach der ftaats- und verwaltungsrechtlichen, der wirtschafrlichen und
literarischen Seite hin. Eine gewaltige Materialsammlung stellt Friedländers
Sittengeschichte Roms dar. Für einen weiteren Leserkreis berechnet ist das
Buch Jungs „Leben und Sitten der Römer^, welches den gleichen
Gegenstand kürzer behandelt. Jn seinem „Zeitalter Konstantins" führt uns Jakob
Burckhardt die Kultur des sinkenden Römertums und das Verhältnis des
Christentums zu ihr mit gewohnter Meisterschaft vor Augen. Eine feinsinnige
Leistung ist noch Gregorovius' „Kaiser Hadrian". Derselbe hat in einem
achtbändigen Werke, das jetzt neu aufgelegt ist, die Geschicke Roms im Mittel-
alter und in einem minder umfänglichen die Athens im Mittelalter ge-

2. Novemberhest (HOH zo5
 
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