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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1904)
DOI Artikel:
Dresdner, Albert: Das Kaiser Friedrich-Museum und seine Kritiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0406

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man sie noch so ungünstig beurteilen, so bleibt es ein Fehler, wenn
die Kritik sich durch diesen ungünstigen Eindruck so verstimmen läßt,
daß sie die Hauptleistung des Musenms, die Gestaltung der Ausstel-
lungsräume, ihre Anordnung und Ausstattung, darüber nicht in ihrem
Werte zu schätzen imstande ist. Es muß ja ausgesprochen werden, daß
diese Feindseligkeit gegen das Museum vermutlich noch einen anderen
Grund hat: das ist die allgemeine Abneigung gegen die offizielle
preußische Kunst, durch die das Urteil wohl auch über dies Werk un-
günstig beeinflußt worden ist. Diese Abneigung hat ihre guten Gründe,
das wissen wir alle; aber die Kritik verabsäumt ihre Pflicht, wenn
sie aus dieser allgemeinen Abneigung heraus gegen die einzelne
Leistung unbillig wird. Was ist denn diese ihre Pflicht? Jch halte
es darin mit Goethe, daßj man das Geleistete freudig anerkennen,
das Mißlungene aber anständig bedauern solle. Es hat keinen Zweck,
immer in Fehlern herumzuwühlen; die Kritik hört auf zu wirken
(und ich meine, daß in einem gesunden Volke für Dinge und Men-
schen, die nicht wirken, kein Platz sein sollte), wenn sie ihre Aufgabe
nicht darin sieht, überall, selbst im Mißlungenen oder wenig Ge-
! lungenen, das Fruchtbare herauszuholen, zu entwickeln, allgemein
überzeugend darzustellen und der Nation als einen Glaubensartikel
einzuprägen. Nur als Führerin zu neuer Gestaltung hat nach meiner
festen Ueberzeugung die Kritik in unserm Leben eine wahre Daseins-
berechtigung. Man muß sich einmal vergegenwärtigen, zu welchem
Urteil wohl die Leute, die zwar nicht über die Geschicke der Kunst,
aber doch über recht wichtige künstlerische Aufgaben und Angelegen-
heiten zu entscheiden haben, kommen können, ja vielleicht müssen,
wenn sie beobachten, daß in einem Falle, wo eine so entschiedene
Leistung vorliegt, die Kritik sie nicht gebührend versteht und aner-
kennt. Müssen diese Leute dann nicht sagen: da sieht man ja, was die
Kritik wert ist! da sieht man ja, ob es lohnt, ihr Gehör zu schenken!
Es fehlt in der deutschen Kritik nicht an einsichtigen und unterrichteten
Männern, aber Bismarck scheint nicht für sie gelebt zu haben und der
Gedanke, daß wir eine praktische, zugleich zielbewußte und die Wirk-
lichkeit gebührend berücksichtigende Kunstpolitik treiben müssen,
wenn unsere Worte nicht bloß Worte bleiben, wenn sie zu Taten
werden sollen, dieser Gedanke scheint ihnen fremd. Der Fall des
Kaiser Friedrich-Museums ist nicht der einzige, er ist nur besonders
drastisch. Wenn man sieht, daß tatsächlich eine Art Kesseltreiben
gegen diese neue Schöpfung veranstaltet worden ist, so muß man sich
fragen, was man dadurch erreicht und erreichen will. Man erreicht,
daß eine ehrenwerte Leistung deutscher Bildung und deutscher Or-
ganisationskraft im allgemeinen Urteil des Jnlandes wie des Aus-
landes herabgesetzt wird; daß Männer, deren Verdienst außer Frage
steht und die sich immer als Förderer aller fortschrittlichen Kunst-
bestrebungen erwiesen haben, verstimmt werden und daß der Kredit
der Kritik herabgesetzt wird. Wundert man sich dann noch über die
an sich so erstaunliche Tatsache, daß die dringendsten und begründetsten
Mahnungen der Kritik in einer Frage, wie der des Berliner Opern-
hauses nicht gehört werden? Albert Dresdner




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