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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1904)
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Wolfsberg, V.: Sprechsaal: noch einmal: Litzmann über Goethe
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0411

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zusieht, in dem er selbst lebt. Der alte Mythus erneut sich in ihm. Aus
der Natur sieht's ihn an wie mit großen tiefen Augen, aus der Natur
spricht's zu ihm wie mit Liebeswerben, und dieses Liebesverlangen, das
die ganze Frühlingsnatur ausstrahlt, wird Gestalt: »Wie im Morgenglanze
du rings mich anglühst, Frühling, Geliebter!«" Jn diesem Gedicht ist nichts
Besonderes zu erklären, es ist von ewiger Allgemeinheit: „Es ist
nicht Ganymed, sondern ein Empfinden, das durch die Begebenheit Gany-
meds mit ungemeiner Prägnanz angedeutet, aber nicht erschöpft ist" usw.

Also: weder Litzmann noch mir fällt es eiu, den Kunstgenuß anderswo
als in der Wirkung auf Gefühl und Phantasie zu suchen. Eine Erziehung
zum Kunstgenuß hat lediglich dort zu wirken. Anders aber die Erziehuug
zur Förderung und Ermöglichung des Genusses bestimmter, oft mit so viel
„Besonderem" belasteter Dichtungen. Das Buch ist gar nicht iu erster Linie
für solche geschrieben, die genießen „leruen" wollen, sondern für solche, die
lehren wollen, künstlerischen Genuß jeder Art zu vermitteln und zu
erleichtern, für Lehrer höherer Anstalten ganz zuvorderst. Zu lehren, wie
man störende Elemente wegräumt, um freie Bahu zu gewinnen für
den Genuß, ist eine seiner voruehmsten Absichten. Larl Lnders

*

Jch kann mich auf die Entgegnung des Herrn Or. Carl Enders ziem-
lich kurz fassen.

s. Die Frage, ob ich den Leser falsch über Jnhalt und Absicht des
Litzmannschen Buches unterrichtet habe, erledigt sich, indem ich auf den
Abschnitt 2 Seite 9 meiner Kritik hinweise. Dort stehen sowohl Titel wie
Untertitel und über die Absicht des Buches Litzmanns eigne Worte.

2. Jch habe in den einleitenden Sätzen meiner Besprechung ausdrücklich
anerkannt: „die Umstände, uuter deneu ein Gedicht entstanden ist, können
höchst wichtig sein für die Erkenntnis von Leben, Denken und Fühlen des
Dichters, und für die Erkenutnis vom Entstehen, überhaupt vom Wesen
der Dichtungen. Das heißt: für biographisches und ästhetisches Verstehen."
Aber z. B. auf Seite 8 sf. erörtert Litzmann ausdrücklich, daß er schon in
seinen „seminaristischen Uebungen ein großes, ja das Hauptgewicht darauf
gelegt" habe, „daß ein jeder, der über deutsche Dichtung später lehren soll,
zuvor lerne, eine Dichtuug als Kunstwerk aufzufassen und mit künst-
lerischen Augen zu betrachten". Er beklagt mit Recht, „daß von einer Er-
ziehuug oder Schulung des künstlerischen Geschmacks, von einer Erzieh-
ung zu künstlerischem Genuß nur in verschwindend seltenen Fällen
die Rede ist", und erklärt: „Wir müssen also, glaube ich, wenn wir so etwas
wie künstlerische Genußsähigkeit in weitern Kreisen erziehen und anerzieheu
wollen, die Sache etwas anders anfassen." Wie e r sich „das denke", habe
er in langen Erfahrungen durchgeprobt, und eben diese Erfahrungen hätten
ihn veranlaßt, „die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Jhren wesentlichen
Jnhalt geben die folgenden Blätter wieder." Wie mein Herr Gegner nach
diesen klaren Worten mir die Berechtigung bestreiten kann, Litzmanns Buch
aus seine Bedeutuug für die Erziehung zum Kunstgenuß hin zu
besprechen, das ist mir meinerseits unverständlich.

3. Litzmanns Buch bietet vielleicht manchem Leser manches Jnter-
essante und Anregende und in ästhetischer Beziehung auch manchen in-
tellektuellen Genuß — ich kann das von mir nicht sagen, aber ich
nehme gern an, daß es andern so geht. Da aber sein Buch, wie eben

st Dezemberheft jIOH 37 s
 
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