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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1905)
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Batka, Richard: Peter Cornelius
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0523

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daran beruht keineswegs auf der Zeichnung und psychologischen
Durchsnhrung der Charaktere, also auf den eigentlich dramatischen
Qualitäten. Wer dies im Auge behält und erwägt, daß hier der gün-
stige Zufall ihm einen Stosf in die Hände gespielt hatte, bei dem
es weniger auf diese Eigenschasten als auf die Entsaltung von
Humor und zuständlicher lyrischer Schönheiten ankam, der wird
sich nicht mehr wundern, daß es Cornelius spüter mit „Cid"
und „Gunlöd" in der Oper gar nicht mehr gelingen wollte. Wagners
Scharsblick erkannte den springenden Punkt, aber Cornelius selbst war
manchma! nicht vor dem Argwohn geseit, daß Freund Richard aus
einem Gesühle der Nebenbuhlerschast seinen Opern keine volle Teil-
nahme entgegenbringe. Es hat keineswegs an ernsten Versuchen
gefehlt, diese Werke der Bühne zu gewinnen. Aber ihre ganz undrama-
tische Eigenschaft machte — ungeachtet großer musikalischer Schön-
heiten — diese Versuche bisher stets ergebnislos. Sehr lehrreich wäre
z. B. eine Vergleichung des „Cid" mit „Lohengrin", dessen Stosf so
manche, der Mär vom Campeador entsprechende Züge enthält.
Wagner entrollt ein bis ins einzelne belebtes und motiviertes Kultur-
bild. Cornelius läßt seine Leute ohne weitere Begründungen und
Formalitäten kommen und gehen, wie's ihm bequem ist, um nur rasch
zu den ihn vor allem anziehenden lyrischen Szeneu zu gelangen. Diese
rundet er sormell schön in sich ab, und er läßt sie, wie er sie ruhig
vorbereitet, auch ruhig ausklingen. Die Wirkung des plötzlichen Ueber-
ganges einer Szene in die andere übersieht er. Wie packend wäre
es, wenn nach der Verwünschung des Helden durch Chimene auf dem
letzten Gipfelton a, tsmpo die Ankunst der Unglücksboten und damit
der Umschlag der Stimmung einträte. Aber da muß erst noch ein
Ritornell folgen, worin Klarinette und Fagott im Zwiegespräch ihre
Meinung über die Situation in einer teilnahmsvollen Tonphrase be-
dächtig abgeben, während das szenische Bild ganz stille steht, die dra-
matische Spannung nachläßt, bis das leise einsetzende XI1o§ro a§itato
sie allmählich wieder emportreibt. Das Gesetz von der Erhaltung der
Spannung, das der echte Dramatiker unwillkürlich befolgt, war dem
auss dramatische Gebiet versetzten Lyriker völlig fremd.

Ueber Cornelius' Bedeutung als Lieder- und Chorkomponist ist
im Kunstwart schon mehrmals ausführlich (XIII6, XV s) gesprochen
worden. Es kann für diesmal genügen, daraus zu verweisen, nachdem
die von verschiedenen Seiten vertretene und durch die neuesten Brief-
verösfentlichungen noch beförderte Ansicht, als hätten wir in dem edlen
Meister ein verkanntes dramatisches Talent besessen, in die richtigen
Grenzen zurückgesührt worden ist. Eine kluge Kunstpolitik wird
daher vor allem trachten, die in sich vollendeten cornelianischen
Werke, soweit es deren individuelle Sprache gestattet, in der
öffentlichen nnd häuslichen Musikpflege einzubürgern. Sie wird
dagegen die Beschäftigung mit Schöpfungen wie „Cid" und „Gun-
löd" besonderen Liebhabern überlassen, die befähigt sind, künst-
lerische Werte auch in halbgelungener Gestaltung zu erkennen und
zu genießen. Eigentliche „Schlager" für den Konzertsaal, wenn wir
die Chöre ausnehmen, sind auch von den wirksamen Sachen des Meisters
nur wenige, erst bei „intimen Abenden", wie sie in letzter Zeit erfreu-




Runstwart XVIII, 7
 
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