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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 8 (2. Januarheft 1905)
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Selle, Richard: Sprechsaal: nochmals: eine Fachfrage oder mehr?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0600

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wegs auch verschließen sich die maßgebenden Stellen der Erkenntnis,
daß etwas geschehen muß. Die Nenordnung der Dinge wird kommen,
und sie wird die Forderungen der Zeit und die Ansprüche, welche
die Verhältnisse im Bauhandwerk dringend erheischen, berücksichtigen.

Weshalb ist denn aber die bisherige Ausbildung der Baugewerk-
schule für eine große Zahl der Schüler nicht ausreichend? Die Be-
antwortung dieser Frage fordert ein Eingehen auf den mit der Be-
gründung der Baugewerkschulen ursprünglich beabsichtigten Zweck.

Die Baugewerkschule sollte ursprünglich keine Architekten und
Handwerkskünstler ausbilden, ihre Schüler sollten sich diejenigen theo-
retischen Kenntnisse und diejenige Fertigkeit im Zeichnen und Kon-
struieren aneignen, die sie besähigten, zunächst auf dem Bureau und
dem Bauplatz als technische Hilfskräfte von Baugewerksmeistern, Bau-
unternehmern und technischen Behörden ihre Stelle auszufüllen, die
sie dort in den Stand setzten, etwas — nicht zu sein, sondern zu
werden. Wer die Gabe zu höheren Leistungen verspürte, sollte nach
dem Besuch der Baugewerkschule und nach gründlicher Schulung in
der Praxis in der Lage sein, sich in einem Architekturbnreau oder
auf der Hochschule künstlerisch weiterbilden zu können. Die Baugewerk-
schule wollte und sollte ihm nur das Handwerkszeug zum Weiter-
lernen geben. Und in diesem Sinne haben die Baugewerkschulen viel,
sehr viel geleistet.

Die Verhältnisse im Baugewerbe haben es aber mit sich ge-
bracht, daß die Baugewerkschüler nach Beendigung ihrer Schulzeit,
wo die Schule keinen Einfluß mehr aus sie haben konnte, nicht mehr
etwas werden, sondern schon etwas sein wollten. Sie entwarfen
für die durch Sachkenntnis und Kunstverständnis in ihrem Urteil nicht
getrübten „Architekten" und „Baumeister" kleinere, größere und ganz
große Gebäude. Das machten sie natürlich für billiges Geld, so neben-
bei womöglich, als Nebenerwerb. Der Bauunternehmer war froh, daß
er noch ein paar Hundertmarkscheine mehr an dem Bau sparte, d. h.
„verdiente", und hielt die Schöpfung mit der wundervollen, irgend-
woher gestohlenen Palastarchitektur für ein Kunstwerk ersten Ranges —
wenn er sie überhaupt von einem K u n st standpunkt aus betrachtete.
Und das Publikum — im großen und ganzen auch. Nannte jemand
das Gebäude beim richtigen Namen, so hörte man wohl: „Jch weiß
nicht, mir gesällt das Haus sehr gut. Die Künstler haben doch immer
etwas auszusetzen. Na — l'art pour 1'art."

Das ist der springende Punkt des ganzen Bauelends: Die Bau-
unternehmer und das Publikum hielten die, welche noch eben Bau-
gewerkschüler waren, für das, was sie noch nicht sein konnten, für
vollendete Handwerkskünstler, und die jungen Leute überschätzten in-
folge der Aufträge sich selbst, ihre Fähigkeiten und ihre Schöpfungen.
Das Publikum, die Auftraggeber, hatten in einer Zeit der „Hoch-
konjunktur", wo der Geldmann und Emporkömmling den Ton angab,
keinen Geschmack — oder vielmehr den Geschmack eines Protzen, sie
standen geradezu im Gegensatze zum Künstler. Und der Künstler
dünkte sich erhaben über dem Laien — unendlich erhaben. Den Laien
zum Kunstgeschmack wieder zu erziehen, dafür hielt er sich für zu
gut und den Laien sür zu dumm. „U'art pour I'art."



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