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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 8 (2. Januarheft 1905)
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Selle, Richard: Sprechsaal: nochmals: eine Fachfrage oder mehr?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0601

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Aber mit Freuden wollen wir es bekennen: Es ist schon besser
geworden, wir befinden uns auf ansteigender Bahn. Sorgen wir alle
insgesamt dafnr, daß die kunstfördernden Wechselbeziehungen zwischen
Künstler, Handwerker und Laien immer inniger werden!

Auch die unglückselige Baugewerkschule, die so viel Elend ganz
allein verschuldet haben soll, verschließt sich schon jetzt den Forde-
rungen der Neuzeit und den gegebenen Verhältnissen nicht. Sie rech-
net jetzt mit der oben beleuchteten Tatsache, daß ihre Schüler zum
großen Teil die Entwerfer bürgerlicher und bäuerlicher Bauten sind,
oft schon unmittelbar nach ihrer Schulzeit, sie erkennt den ursprüng-
lichen Zweck ihrer Ausbildung als zu eng begrenzt an und wird,
den neuen Zwecken entsprechend, den Unterricht so umformen, daß
ihre Schüler auch zum s e l b st ä n d i g e n Schassen in schlichter, volks-
tümlicher Weise befähigt sind, daß sie in bescheidenem Sinne „Künstler
und Techniker in einem", d. h. Handwerkskünstler sein können.

Der frische Wind, der in den Kunstgewerbeschulen weht, bläht
nun auch die Segel des Baugewerkschulschifses. Daß der frischen, fröh-
lichen Fahrt in neuem Fahrwasser innere Widerstünde nicht mehr ent-
gegenstehen, dasür legte die (wie von einer Seite ausgesprochen wurde)
Hurrastimmung Zeugnis ab, mit der anf der Kölner Tagung der
Vortrag des Oberlehrers Westphalen aus Erfurt aufgenommen wurde.

Als wünschenswerte Grundsätze für eine Unterrichtsänderung
führte Westphalen etwa das Folgende an: Der Formenlehre-
unterricht in seiner jetzigen Gestalt fällt ganz weg, und es
wird dafür vom zweiten Schulhalbjahre ab eine „B a u st i l l e h r e"
eingeführt, an die sich in den solgenden Halbjahren Ansflüge nnd
Aufnahmen alter Bauwerke anschließen. Dieser Unterricht soll ledig-
lich der nnentbehrlichen historischen Ausbildung Rechnung tragen.
Das Studium der historischen Baustile kann aber unter keinen
Umständen die Grundlage einer zeitgemüßen bürger-
lichen Baukunst sein. Die „bürgerliche Bauknnde" —
das Hauptfach — ist durch eine „G e st a l t u n g s l e h r e" zn erwei-
tern, die von Anfang an durch die ganze Schule hindurch betrieben
wird. Der Schüler soll hierin schon im ersten Halbjahre einfache Grund-
risse und hieraus einfache Gebände gestalten, die Wirkung
der Massen abschätzen lernen. Neben den dazu erforderlichen
Zeichnungen wird ein Modell des Gebäudes (aus Pappe) gefertigt.
Jm engen Zusammenhang hiermit werden die Baukonstruktionen —
deren notwendigste Elemente natürlich vorher durchzumachen sind —
an dem vorher gestalteten Gebäude entwickelt und das Gebäude in
seiner G e s a m t e r s ch e i n u n g durchgebildet, wobei auf die stoff -
echte und zweckmäßige Herleitung der Form Wert ge-
legt wird. Dadurch, daß Konstruktion und Form in unmittelbarem
Zusammenhang und aus dem Ganzen heraus entstehen, wird die
Klippe der stilistischen Architektur vermieden.

Entwickelt sich der Unterricht in der geschilderten Weise, so wird,
davon sind alle Fachleute überzeugt, ein großer Fortschritt zn ver-
zeichnen sein. Die Baugewerkschule wird dann nicht mehr den Vorwnrf
der Rückständigkeit erfahren, sie wird aber auch etwas anderes wer-
den, als sie bisher sein sollte und sein wollte. Sie wird znr Wieder-


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