Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1905)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0603

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
wärme, in der wir eines der wesentlichsten Merkmale deutscher Kunst sehen
dnrfen. Mit Absicht dann habe ich ihn einen erlesenen Dichter, nicht einen
erlesenen Dramatiker genannt. Um ein großwüchsiges Drama zu schaffen,
fehlt es ihm an jener ehernen Unerbittlichkeit gegen sich selbst und gegen
seine lyrische Empfindung, die es sertig bringt, alle bloß dekorativen Ranken
der Vernichtung preiszugeben, um desto reiner und strenger den inneren
dramatischen Bau sich entfalten zu lassen. Nicht selten treffen wir ihn in
seinem Trauerspiel bei dem Bemühen, eine Lücke im Gestein durch einen
von ferne herbeigerufenen schönen Gedanken, durch ein schönes Bild oder
ein schönes Wort zu verhüllen, und gerade dort, wo die innere Logik des
Dramas ein Ausschöpfen der tiefsten Psychologie fordern würde, sucht sich
der Dichter mit einem raschen Sprung dieser vornehmsten Verpslichtung des
modernen Dramatikers zu entziehen.

Dennoch bleibt genug übrig, was seiner Dichtung nicht bloß ihren poe-
tischen, nein, auch ihren dramatischen Vorrang vor den meisten Bühnenwerken
nicht allein dieses einen letzten Jahres sichert. Beer-Hofmann verfügt über eine
Sprach- und Formkunst, die der eines Schnitzler und Hofmannsthal nichts
nachgibt, sie an plastischer Bildkraft und andächtiger Versunkenheit in ihren
Stoff aber übertrifft. Die Musik seiner Verse verschwebt nicht vor dem Ohre,
sie baut Lebensbilder und Menschenschicksale vor uns auf und läßt uns manch-
mal in Seelentiefen blicken, von deren Grund die ewigen Gestirne heraufwinken.
Doch damit noch nicht genug. Unter den vielen Auftritten und Menschen
dieses Stückes ist keiner, der nicht im Rahmen und auf dem Hintergrunde
der Bühne gesehen wäre und der nicht ein malerisches, eindrucksvolles Bild
in uns zurückließe. Wohl mag zu dieser malerischen Wirkung die Regie
des „Neuen Theaters" unter Max Reinhardts Leitung viel beigetragen
haben; aber auch wenn man die Dichtung allein aus dem Buche genießt,
steigen die Gestalten und Bilder in gesättigter Lebensfülle vor der Phantasie
empor. Die von unsern Dramatikern so oft enttäuschte Hoffnung auf Farben-
glut und Reichtum der Anschauung wird hier endlich einmal wieder erfüllt.

Den Stoff zu seinem Trauerspiel fand Beer-Hofmann im Schatzhause
der englischen Renaissancedramatik. Jm Jahre j6Z2 erschien in England
ein gemeinsam von Philipp Massinger und Nathaniel Field verfaßtes Stück
„PÜ6 kutul äo^vrx" („Die verhängnisvolle Mitgift"). Darin wird, wahr-
scheinlich nach einer noch älteren Quelle, erzählt, wie ein Edelmann sich
seinen harten Gläubigern selbst zum Ersatze anbietet, um den Leichnam
seines über alles geliebten Vaters, der nach altem burgundischem Recht
wegen nnbeglichener Schulden mit Haft belegt worden ist, der Erde über-
geben zu können. Die Gläubiger bleiben durch diesen kindlichen Opfermut
ungerührt; der Gerichtsherr aber, vor dem die Sache verhandelt wird,
zeigt sich von dem Entschluß des guten Sohnes so ergriffen, daß er nicht
nur die Schulden bezahlt, sondern dem jungen Grafen auch seine Tochter,
sein einziges Kind, zum Weibe gibt. Doch des Grafen Schicksal fängt nun erst
an. Nach dreijähriger glücklicher Ehe betrügt ihn die so seltsam gewonnene
Gattin mit einem ihrer Jugendfreunde; der Graf ertappt sie bei ihrer
Untreue, tötet den Verführer und zwingt die Ungetreue, sich mit eigener
Hand den Tod zu geben. Er selbst geht ins Elend und in die Einsamkeit.

Die Aufgabe eines modernen Dichters, für den Shakespere, Hebbel
und Jbsen nicht umsonst gelebt haben, wäre vielleicht gewesen, das letzte
Schicksal des Grafen aus der Art, wie seine Ehe zustande gekvmmen, zu

552

Runstwart XVIII, 8
 
Annotationen