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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 8 (2. Januarheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0645

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um eme Kleinigkeit zurück gegen
den korrekten Grundriß des Neben-
buhlers, die Treppenanlage ist we-
niger günstig und was der Kleinig-
keiten mehr sind. Wir wissen natür-
lich recht wohl den Wert eines guten
Grundrisses zu schätzen, wir wissen,
daß er die unumgängliche Grund-
lage jedes *gesunden architektonischen
Werkes ist, aber wir wissen ander-
seits auch, daß fast niemals ein
Bau genau nach dem ersten preis-
gekrönten Plan ausgeführt wird.
Schon die Durchsicht der übrigen
preisgekrönten und angekauften Ent-
würse ergibt neue fruchtbare Jdeen;
es werden zudem neue Wünsche des
Bauherrn laut — zumal wenn der
Bauherr ein Kollegium ist —, der
Plan wird durchgearbeitet und sogar
oft während des Bauens noch mehr
als einmal verändert. Was bei der
Zuerkennung des Preises schließlich
„ausschlaggebend" war, kommt dann
bei dem fertigen Bau nicht mehr
in betracht, man darf sicher sein,
daß jeder andere ersahrene Architekt
in Hinsicht auf Grundriß und prak-
tische Bedürfnisse dasselbe geleistet
haben würde, in bezug auf den wirk-
lich künstlerischen Wurs aber hütte
der durchgefallene schöpferische Ar-
chitekt unbedingt Besseres geleistet,
er hätte etwas Neues, Eigenartiges,
Bedeutendes geschaffen an Stelle
dessen, was nun tatsüchlich gebaut
wird: des braven Konventionellen.
Hat ein wirklicher Baukünstler zu
vergeblichem Mitmachen demonstra-
tionshalber nicht Zeit noch Geld,
so beteiligt er sich also von vorn-
herein nicht. So begünstigcn derartige
Preisausschreiben meist Bauten, die
nicht die Kulturwerte der Gegenwart
widerspiegeln; sie fälschen das archi-
tektonische Bild der Zeit.

Der Maler wie der Bildhauer kann
schließlich unter harten Entbehrungen
wenigstens einmal ein großes Werk
schafsen, das seiner Eigenart ent-

spricht, und kann es ausstellen. Der
Architekt, der nicht zufällig Millionär
ist, lebt wie der Fisch auf dem
Sande, wenn er keinen Auftrag er-
hält. Rathäuser, Kirchen, Bahnhofs-
hallen usw. — zu alledem gehören
Aufträge. Freihändige Aufträge auf
größere Bauten an einen hervor-
ragenden Architekten sind, wie unsre
Verhältnisse liegen, so gut wie aus-
geschlossen. Die Preisbewerbungen
aber arbeiten infolge des gekennzeich-
neten Preisrichter-Monopols falsch.
Wie oft würden ihre Urteile anders
ausfallen, wenn an Stelle der vier
üblichen Architekten einmal etwa
Theodor Fischer in Stuttgart, Martin
Dülfer in München, Fritz Schumacher
und Julius Gräbner in Dresden und
ähnliche Männer zu Preisrichtern ge-
wählt würden! Aber freilich wün-
schen wir noch viel mehr, daß ge-
rade Künstler wie diese sich bei grö-
ßeren Aufgaben als schaffende Ar-
chitekten betätigen könnten. So blei-
ben wir in einem üblen Dilemma
stecken.

Man könnte fragen: wo bleibt
die architektonische Publizistik? Ach,
in allen wohleingeführten architek-
tonischen Zeitschriften herrscht bis
jetzt der Kompromiß, die Rücksicht
nach allen Seiten. Von den Blät-
tern, die von Regierungen unter-
stützt werden, wird man ja von
vornherein kein Vorgehen gegen das
Uebliche verlangen können. Aber
auch für die andern Architekturblätter
sind vorläufig noch Schöpfer und
Verwerter gleichberechtigt Künstler.

Man hat dem Kunstwart gewiß
häufiger den Vorwurf gemacht, daß
er die Bedeutung guter Tradition
über-, als daß er sie unterschütze.
Aber die Tradition, die die paar
Männer pflegen, ist nicht die allge-
meine Ueberlieserung des erreichten
Guts. Wettbewerbe, deren Einrich-
tung zu Anpassungen an Preisrichter-
ansichten, zu Verschleierungen der

59^ Runstwart XVIII, 8
 
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