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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 9 (1. Februarheft 1905)
DOI article:
Nissen, Benedikt Momme: Die mittlere Linie, [1]: zur heutigen deutschen Kunstlage
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Nodnagel, Ernst Otto: Gustav Mahler
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0666

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gesunde Neuerung ausgehen. Wie Natur die Mutter, so ist Genius
der Vater der Kunst. Dies Doppel erfordernis darf man nicht über-
sehen. Und das väterliche Element ist immer das bestimmende. Die
Genien haben das Wort! Momme Nissen

(Schluß solgt.)

Gustav Makler

Gustav Mahler gehört zu denjenigen neueren Künstlern, die
durch ihr Schaffen von allem Anfang an schon starke Meinungs-
verschiedenheit hervorriesen. Seit den Kämpfen um den neuen ton-
dramatischen Stil haben wohl sehr wenige andere Tondichter ein so
leidenschaftliches Für und Wider erregt, und selten war bei einer
musikgeschichtlichen Persönlichkeit die Weite der Pendelschwingungen
zwischen Lob und Tadel so groß, wie bei diesem Symphoniker. Merk-
würdigerweise ist dabei das Publikum, namentlich das „intellektuelle"
Deutschland, allenthalben aus Mahlers Seite getreten. Andererseits
hat auch die Nadel des Kompasses, den man bei uns, euphemistisch
genug, als Musikkritik bezeichnet, eine Ratlosigkeit gezeigt, wie sie
bei bedeutenden elementaren Ereignissen und besonders in der Nähe
des magnetischcn Poles eintreten soll. Diese Tatsachen sprechen noch
mehr als der Umstand, daß Mahler mit 36 Jahren eine bedeutende
künstlerische Stellung anvertraut wurde, von vornherein sür die An-
nahme, er müsse eine ausgeprägte künstlerische Persönlichkeit sein.

Als Mensch mag Mahler wohl zu den Bestgehaßten unseres
öffcntlichen Musiklebens gehören, nicht zum mindesten, weil er voll-
ständig in seiner Kunst aufgeht, weil er keine Rücksichten kennt, als
die aus die Sache, auf die Kunst. Mahler ist ein Fanatiker der
Sachlichkeit. Darin ist er auch der echteste Wagnerianer in unserem
Bühnenleben, der wenigen einer, die ernstlich bemüht sind, Wagners
ideale Ansprüche an die Bühne zu erfüllen.

Die Grundzüge seines Wesens meine ich sogar in seiner Art
der Stabführung als Dirigent wieder zu erkennen. Nicht der leiseste
Schatten ist da zu verspüren von der Koketterie des Schaudirigenteu-
typus, dem „Dirigigerltum". Nicht eine Bewegung wird man sehen,
die nicht unbedingt notwendig ist. Auch der Ausdruck seiner Züge
beim Dirigiereu läßt die völlige restlose Hingabe an das Werk, die
konzentrierte geistige nachschöpseristpe Arbeit erkennen. Seine Bewe-
guugen sind also knapp uud sparsam — natürlich bei einem Orchester
„ersten Ranges" nicht gauz so sehr, wie bei einem „allerersten

», 12 Runstwart XVIII, h
 
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