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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI issue:
Heft 10 (2. Februarheft 1905)
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Wolfrum, Philipp: Ueber Bearbeitung Bachischer Werke
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0743

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arbeiten müssen. Nach Chrysanders Grundsätzen wie nach einem Uni-
versalrezepte verfahren, heißt in vielen Punkten schon die historischen
Tatsachen vergewaltigen. Bach, soviel er von Jtalienern und Franzosen
in sich aufgenommen und in deutscher Art weiter- und ausgebildet hat,
so eng er mit den verschiedenen Stil- und Vortragsarten vertraut ist,
so oft er einen schöpferischen Gedanken bis zu Ende gedacht hat — nie
macht er sich's bequem wie etwa Händel, der sein königliches Haupt
meist in zubereitete Betten legt; stets ist er aufs neue bedacht, das
Reich der Kunst zu mehren, und die musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten
zu bereichern. Sehr bequem aber machen sich's seine neuesten Jnter-
preten. Was ihnen von Bach in ihre Händelbegeisterung nicht Paßt,
das wird unter irgend einem hübschen Vorwand aus die Seite gelegt.
So gereicht es unserem nach Ausdruck ringenden Meister in den Augen
jener durchaus nicht zur Ehre, daß er zumeist anders instrumentiert als
Händel und die italienischen Opern-Maöstri — im Gegenteil: er scheint
ihnen mit seinen deutschen Stadtpfeifern ein gutes Stück hinter der
von jenem begriffenen Kultur zurückgebliebeu. Wie kann man sich auch
anständigerweise mit dem Jahrmarkt alter Jnstrumente befassen, die
Bach in seiner Kirchenmusik hervorholt? Wollen die Historiker diese
Flöten a dse, Hoboen äa oaooia (neben den gewöhnlichen und
ä'amors), Hörner äa oaooia, Trompeten und Hörner äa, tirarsi,
die verwendeten Kornetts, Litui, Violettas, Violinen und Violon-
celli xäoooli und anderes Bach großmütig nachsehen, so mögen sie doch
nur auch großmütig eine schüchterne Klarinette, die Franz und seine
großen Kollegen sehr zweckentsprechend einführten, genehmigen, zumal
man über die Art, wie vielleicht Bach die heute unkontrollierbaren
Farbentöpfe der alten Orgeln benützte, auch nicht besonders unterrichtet
sein dürfte. Man erzählt nur, daß Bachs Art zu registrieren bei den
„Kennerw' Kopfschütteln hervorgerufen habe. Den Kapellmeistern von
heute verüble man also nicht, daß sie das als klassisch geltende Ge-
bahren der „Händel-Praxis" sür etwas wie „Zopf" halten.

Das Schablonisieren der Händelweisen hat auch die Bachsche
Kirchenkantate ergriffen. Bach hat bekanntlich eine unendlich große
Zahl von „Typen" in dieser konzertierenden Kirchenmusik hingestellt,
sie auch unter den verschiedensten Voraussetzungen und Aufführungs-
bedingungen geschrieben. Wie rückständig mag Mühlhausen gewesen
sein gegenüber der großen Stadt LeipAg, und doch wie „deutsch" und
armselig ist er auch hier noch dran mit seinem Apparat gegenüber Hän-
del, sodaß er (750 den Rat darauf verweist, daß er statt zwanzig not-
wendigen Jnstrumentisten nur acht festangestellte habe und sich im
übrigen mit seinen früheren Schülern, den Studenten, kaum behelfen
könne, da man diesen nichts bezahle! Zweifellos hat der Meister in
Leipzig in der neuen Kantatenform, die man auch wohl schlankweg als
„ein Stück einer Opera" bezeichnet, der herrschenden Gestaltung des
Musikapparates zugestrebt und neben der Orgel das Cembalo zum Re-
zitativ und der va oaxo-Arie herangezogen. Aber die von Spitta aus-
gestellte Regel: in der Kirche hat Bach mit Orgel, in der Kammer mit
Cembalo musiziert, ist vorläufig trotz der Ausnahmen noch nicht er-
schüttert. Jedenfalls gilt sie weit allgemeiner als die neue Regel:
Orgel mit Chor, Cembalo mit Solostimmen. Denn da käme man zu



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