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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1905)
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Grunsky, Karl: Heitere Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0782

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und namentlich bei seinen Durchführungen bis gegen den Schluß einen
stark komischen Beigeschmack. Bach war zu Zeiten ein Schalk, doch hat
er wohl die Abschlüsse immer ernst und majestätisch gemeint. Eine der-
artige Entwicklung vom bewußt Komischen ins Ernsthafte, bis zur
reinsten und schönsten Empfindung macht das Hauptthema der Zauber-
flöten-Ouvertüre durch. Die Fugenform lockt durch ihre Strenge zum
Scherz und ist ein willkommenes Mittel der Komik, da sie dem Ver-
stande, der von Natur der Erregung feindfelig ist, großen Spielraum
gewährt. Würde man von Vachs Fugen einige fpaßhaft gemeinte
instrumentieren, so käme die Wirkung sicherer znstande. Denn in der
Täuschung ausdrucksvoller Klangschönheit liegen unwiderstehliche Lach-
reize. Das Fagott galt früher fast als einziger Komiker; es hat aber
Kameraden genug bekommen.

Die Jnstrumentierung ist als Mittel der Komik deshalb fo will-
kommen, weil die Zusammensetzung der Klänge jederzeit Vergleichspunkte
ermöglicht; ohne einen Gegensatz ist ja das Komische unkenntlich. Noch
brauchbarer ist der Rhythmus, weil ihm die nötige Zweiheit stets inne-
wohnt: man braucht sie bloß zum Zwiespalt zu steigern. Es ist selt-
sam, daß man zwar Lehrbücher der Harmonie, des Kontrapunktes usw.
hat, aber kein Lehrbuch, keine Theorie des Rhhthmus. Carpes und
Riemanns Arbeiten sind nur vereinzelte Erscheinungen. Der tatsäch-
liche Rhythmus einer Musik ist immer auf den Hintergrund eines
schematischen Rhythmus gezeichnet; wer letztern nicht gleichzeitig wahr-
nimmt, hat eben keinen rhythmischen Sinn. Jm Rhythmus liegt eine
Ausdrucksgewalt, die der Melodie, der Harmonie, dem Kontrapunkt min-
destens gleichkommt. Eine bekannte, aber ganz verschieden und unsicher
erklärte Erscheinung ist die Synkope: das Zusammenprallen zweier Be-
tonungen. Welch unerschöpfliche Möglichkeiten für den Spender komischer
Musik! Er kann den Kamps, den Zorn, die Wut ins Lächerliche ziehen.
Kaum gibt es eine Erregung, die er nicht in seine Macht bekäme, indem
er sie steigert, übertreibt, schwächt oder sonstwie verändert. Die Be-
deutung des Rhythmus und der Synkope hat besonders Beethoven
erkannt. Wie reizvoll synkopiert er die schöne Melodie des Andantes
der zehnten Klaviersonate. Und ohne Synkope: wie drollig stolpert das
Motiv des Finales über den dreigeteilten Takt hin! Aber leider ist
der Sinn für den Rhythmus und seine Wirkungen selbst unter den
Künstlern selten. Franz Wüllner erzählt im Vorwort zu den Uebungen
im Chorgesang, daß sich Mängel des Gehörs leichter verbessern ließen,
als Müngel rhythmischer Empfindung. Berlioz' Charakterisierungskunst
ist nur darum so wenig von uns anerkanüt, weil manche die Krast
seines Rhythmus gar nicht fühlen.

Am weitesten läßt sich das Komische durch die Form thematischer
Abwandlung ausspinnen. Warum diese so zweckentsprechend ist? Weil
sie von einem Gegebenen ausgeht, und es wie etwas Begriffliches ins
Komische ziehen, parodieren, verspotten, verlachen, verzerren kann!
Wollte man sich mal die Mühe nehmen und in den alten Variationen
nachschlagen: wie viel echte, reizende Komik würde man da entdecken!
Von Bachs Goldberg-Variationen mit ihrem tollen Schlußquodlibet,
von den Variationswerken Haydns, Mozarts und Beethovens haben
auch die Neueren viel gelernt. Jn freier Abwandlung hat Wagner



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