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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1905)
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Grunsky, Karl: Heitere Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0783

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seinen Beckmesser aus üem stolzen Meistersingerthema üurch das höchst
einfache Mittel der Verkleinerung (halb so kleine Notenwerte!) ge-
wonnen! Die Notenbeilage bringt die Stelle aus dem Vorspiel. Bruck-
ner macht sich im Finale der sechsten Symphonie über das Oboenthema
des Adagios lustig, erhebt sich über die Klage! Man kann auch das
Thema eines andern Komponisten, oder seinen Stil oder einzelne Ma-
nieren, abgegriffene Wendungen usw. parodieren. So Wagner Händels
Breitspurigkeit in der Stelle, wo die Hadulaturas verlesen wer-

den; Berlioz die sentimentale italienische Koloratur in der Fastnachtszene
des Lsnvsnnto 6s111ni, oder im Faust die sinnlosen Amenfugen, indem er
die Zecher das Amen fugieren läßt, bis sie bloß noch lallen vor Ausge-
lassenheit. Aehnlich verwendet Lortzing den sigurierten Choral im Wild-
schütz in verwegener Weise, wobei allerdings die Situation nachhilft. Ein
klein wenig vom Opernpathos gibt Wagner seinem Walther mit, im
ersten und zweiten Akte der Meistersinger. Bach verspottet in Phöbus
und Pan den italienischen Musikstil, indem er ihn köstlich parodiert;
Wolf persifliert im elften Lied des italienischen Liederbuches das senti-
mentale Violinspiel des gefühlvollen Anfängers. Jn der „Wut über
den verlorenen Groschen" tobt sich Beethoven komisch (nicht humo-
ristisch!) aus: ein Exempel, wie die Stimmung des Zorns ins Ko-
mische gezogen werden kann. Hier ist vor den Veränderungen schon
das Thema selbst absichtlich übertrieben. Das klassische Beispiel einer
komischen Abwandlung der eigenen, ernstgemeinten Themen bietet
Liszts Faustsymphonie. Der ganze dritte Satz ist bis zum Abschluß der
Symphonie auf den Grundsatz thematischer Veränderungen gestellt.
Mephistos teuflisches Gelächter, sein Spott über alles Hohe und Edle,
seine Jronie (im Kierkegaardschen Sinn), seine Verzerrungen, die an
Verzweiflung grenzen, aber auch feine Ohnmacht, die am veränder-
ten Gretchenthema offenbar wird, das alles ist mit den fchlichtesten
musikalischen Mitteln aufs lebendigste und anschaulichste ausgemalt:
so sieht es in Fausts Seele aus, wenn ihn Reue, Weltschmerz, Zweifel
erfassen, ohne daß es zu einem reinen Affekt kommt! Der Kitzel einer
diabolischen Komik! Die dramatische Tonkunst bietet die Möglichkeit
komischer Charakteristik in kleinstem Maßstabe wie in groß angelegten
und breit durchgeführten Typen, mit einigen oder allen erwähnten
Mitteln; der Nachdruck kann auf Charakterisierung an sich komischer
Erregtheit, oder auf komische Beleuchtung aller erdenkbaren Affekte
gelegt werden. Mozart und Wagner sind hierin die Meister. Doch be-
wundern wir schon bei Bach derartiges, z. B. die Figur Lieschens in
der Kaffeekantate! Die treue Schilderung der erwachenden Sinnlich-
keit wirkt allein schon prickelnd. Papageno geberdet sich in seiner letzten
Szene nicht mehr als Naturkind, sondern fast wie ein berufsmäßiger
Spaßmacher. Leporello ist eine musikalische Schöpfung für alle Zeiten.
Seine Registerarie (die man in richtiger Uebersetzung oder im Ur-
text genießen muß!) steigert die Komik ins Dämonische, da hier furcht-
bare Dinge mit überlegener Grazie vorgebracht werden. Alberich in
seiner Hilflosen Lüsternheit im Rheingold, dann das streitbare Bruder-
paar in der „Börsenszene", der unbeteiligte, glatte Loge, dessen Schlau-
heit keinen Schaden bringt, der freudlose Hagen mit feiner grimmigen
Spottlust — das find Charaktere, die man einmal musikalifch genau



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