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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1905)
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Kalkschmidt, Eugen: Aus der Geschichte des Zerrbilds
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0786

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den stolzen Ton mit einem gellenden Schellengeläut laut lachend
unterbricht.

Wir beginnen mit der satirischen Charakterisierung des Menschen,
seiner Neigungen, Zustände und Einrichtungen durch das Tier.
Sie ist eine der ältesten Formen, wenn nicht die älteste, weil einleuch-
tendste iiberhaupt. Ein slüchtender Aeneas mit Vater und Sohn, alle
mit Hundeköpfen ausgestattet und mit Ausnahme des sitzenden Vaters
in schleuniger Schrittbewegung sestgehalten — er ist grausam, der Spott
des griechischen Siegers, aber er ist eindeutig auch heute noch. Der
Römer, der im zweiten Jahrhundert den Maulesel in feierlicher Toga
das Christentum predigen ließ, war noch weniger boshaft als der des
dritten Jahrhunderts, wenn die viel besprochene Kritzelei im Stuck
der römischen Wachtstube richtig gedeutet wird: einen Zwitter von

Abb. z Modekarikatur aus
dem Iahrhundert

Abb. 2 Lukas Rranach:
Rarikatur auf das jdapsttum

Esel und Mensch nagelte der als den Heiland, den „Christengott"
selber ans Kruzifix (Abb. s). Es war der Heiden Spott über die
Fremdreligion. Was aber soll man sagen, wenn man in den dunklen
Domen des allerchristlichsten Mittelalters die Satire der Gläubigen
über weihevolle Kirchenbräuche findet: wenn Bär, Wolf, Hase, Schwein
und Bock eine Prozession aufführen, der Esel die Messe liest und der
Fuchs aus der Kanzel den Gänsen und Enten predigt? Auch das nackte
Weib, die aus dem Bocke reitet, und verwandte sehr derbe Anspielungen
auf Sitte und Unsitte fehlen nicht. Diese Karikaturen waren plastisch
und fanden sich z. B. im Straßburger Münster bis (685 gegenüber
der Kanzel als Schmuck der Kapitäle. Wie muß die Kirche sich sicher
gefühlt haben, daß sie dergleichen von den Baumeistern nicht nur
duldete, sondern sogar als eine Art heilsamen Gegenbeispiels sür ihre
Priester wünschte! Auch als der Buchdruck aufkam, und das ösfentliche
Leben aus den Kirchenmauern in die freie Welt hinaustrat, warnte die
Kirche vor dem Teufel und seinen bösen Gesellen gern durch abscheu-

726 ^ Runstwart XVIII, st
 
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