Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1905)
DOI Artikel:
Unsere Bilder und Noten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0858

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Wer als erstes Werk acht Faustszenen veröffentlicht, kann kein ge-
wöhnlicher Musikant sein, vollends wenn er Franzose ist. Dieser Franzose,
der in seiner Jngend „nichts träumte und dachte als Beethoven, Schiller
und Goethe"' (wie Mendelssohn verächtlich berichtete), war Berlioz, und
seine Parteinahme für unsere Großen ist um so merkwürdiger, als sie in
eine Zeit fällt, da sie noch nicht am Heiligenschein des Rnhmes kenntlich
waren. Die acht Faustszenen, die neuerdings im 10. Bande der Weingartner-
schen Gesamtausgabe bei Breitkopf wieder erschienen sind, enthalten: den
Ostergesang, die Bauern unter der Linde, den Sylphenchor, das Rattenlied,
des Mephistopheles Lied vom Floh, dann den König von Thule, den der
Kunstwart lAOH im ersten Dezemberhefte veröffentlicht hat, „Meine Ruh'
ist hin" mit dem Soldatenchor, und das Ständchen des Mephistopheles.
Diese Stücke sind schon deshalb interessant, weil sie an Goethe geschickt
wurden, dem sie gefielen, der sie aber auf den grimmigen Bescheid Zelters
hin ignorierte — Zelter ist ja auch für das ähnliche Verhalten Goethes
gegen Beethoven, Schubert und Weber verantwortlich. Die Faustszenen von
Berlioz sind später in das weltliche Oratorium oder die Legende „Fausts
Verdammung" übergegangen. Die Erstaussührung dieses Werkes, im No-
vember lM6, war die stärkste Enttäuschung und Erschütterung in Berlioz'
Leben; von diesem Mißerfolg hat er sich nie mehr ganz erholt. Wir
wissen ja aus der Musikgeschichte, welche Ausnahme gerade den größten
Meisterwerken bereitet worden ist. Fausts Verdammung ist eine wahre Fund-
grube für den Musiker. Berlioz fühlte sich nicht wie Liszt, dessen Faust-
symphonie die Grundgedanken der Goetheschen Dichtung darstellt, von den
philosophischen Stimmungen angeregt, sondern von der Fülle lebendiger
Szenen, die Goethe im Faust entwickelt. Das Lied Mephistos braucht keinen
Kommentar. Man kann in der Fastnachtszeit nichts Besseres tun, als d-en
Klavierauszug von Volbach (bei Schott in Mainz) aus komische Stücke hin
zu nntersuchen. An Ausbeute wird's nicht fehlen! Die dritte Strophe unseres
Liedes bringen wir partiturgetreuer als Volbach; das Zeitmaß wird dem
Köune:i des Klavierspielers leicht anznpassen sein.

Alanche Leser werden sragen, warum etwas so Bekanntes wie Wag-
ners Meistersingervorspiel in unsern Notenbeilagen berücksichtigt werde?
Wird es denn wirklich von allen, die es gehört haben, anch gekannt?' Wer
vermag sich oder andern vom Gedankengange dieses Vorspiels Rechenschast
zu geben? Es werden wohl noch manche Klavieranszüge gekauft, manche
Partituren studiert werden, ehe der Berühmtheit Wagners bei allen, die
dazn fähig sind, Verständnis nnd Liebe entspricht. Die Meistersingerherrlich-
keit macht den Anfang des Vorspiels; dann solgt Walthers Lied, zur Liebes-
szene ausgesponnen. Es wird nnterbrochen von der Beckmesser-Episode, die
wir hier mitteilen. Das Thema der Meistersinger ist auf halb so kleine
Notenwerte beschrünkt, seiner Feierlichkeit und Größe beraubt. Lächer-
lich ertel huscht nnd stolpert es heran: wir erkennen Beckmesser. Wie
köstlich stolziert der geckige Stadtschreiber, der sich der Wichtigste von allen
dünkt, in Wirklichkeit der Kleinlichste und Eitelste ist. Er ist es, der sich
zuversichtlich zum Wettgesang meldet. Walther sucht umfonst neben ihm
anfzukommen; sein pathetisches Motiv — in den Takten —6, (3—(6, jedes
Mal mit Violinen — hat auch etwas Komisches. Jm lp. Takt meldet sich
unten die Spottmelodie.des Volkes, das sich nicht sür Beckinesser entscheiden
kann: „Scheint mir nicht der Rechte, scheint mir nicht der Rechte! An der

7Y8 Itnnstwart XVIII, lj
 
Annotationen