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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1931)
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Rinn, Hermann: Vom Sinn einer Zeitschrift
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0021

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obschon jede Partei um starke, suggestive Köpfe verlegen rst. Ein jämmer-
liches Versagen in der Führersrage auf der ganzen Linie! IÄcht zuletzt jenes
klägliche Schauspiel, das leider hinter geschlossenen Türen vor sich ging, die
Ohnmacht, das gänzliche Fiasko der eigentlichen Popanze unserer Tage, der
Finanz- und Wirtschastssührer, die sich in den Wochen der Krise kanm mehr
von einem Hausen ausgescheuchter Hühner unterscheiden liesten. — Dies alles
aber, indessen die Sorge am Herd sitzt, die bitterste Nvt vor der Türe steht
und die Entnmtigung schon die Besten der Wation ergristen hat.

Was soll die Zeitschrift noch für eine lebendlge und notwendige Funk-
tion in der ungeheuer ausgeblähten, verworrenen Masse von Publizität haben?
Eine mittlere und vermittelnde? Riecht das nicht nach faulem Zauber? Es ist
ganz gewiß noch die Stunde schaler, feiger, hämischer oder pfistiger Nbu-
tralität, des Wassertragens aus beiden Schultern, der Charakter- und Stand-
punktlosigkeit — wenn schon deren Tage gezählt sind. Aber das unerbittliche
Hinweggehen der Ereignisse der letzten Wochen über den Menschen, über alles
Planen und Können, die grausame Logik eines mechanischen Abrollens bis
in die letzten Konsequenzen des Un- und Wahnsinns hinein, beweist anch, daß
uns mit den Sophisten und Demagogen, den Scharfmachern hüben und
drüben, den Ilntergangspredigern, den Desaitisten und Anarchisten, dem apo-
kalyptischen und chiliastischen Geschwätz, dem Zllusionismus, dem unent-
wegten Optimismus, ja nicht einmal mit dem koketten Skeptizismus des
Herrn Spengler irgend geholfen sein kann. Was ausrecht blieb: der Geist
jenes Mannes, der seine Taschen zuhält, der nackteste, verblendetste, brutalste
Egoismus — und das Absolutum, der eigentliche Gott unserer Zeit, der tech-
nische, automatisch funktionierende Llpparat, der zum Selbstzweck geworden und
längst der Macht des Menschen entwachsen ist, — lohnt das den Aufwand?
Und was auch noch hielt: die fast unwahrscheinliche Geduld und Leidens-
fähigkeit des stummen anonymen Volkes, auf dessen breiten Rücken alles
schonungslos niederging und ausgetragen wird — was hat das mit jenem
Aufwand zu schaffen? Wer offenen Auges betrachtet, sollte wenigstens das
eine gelernt haben, daß die yihlos^ publieiE, die ungeheure Ausdehnung an
Publizität in umgekehrtem Verhältnis zum Nutzeffekt steht, oder auch,
genau, dem Begrist Publizität geradewegs zuwiderläuft. Deun fchlimmer
stand es nie um den „östentlichen Geist" in Deutschland, schlimmer nie um
ein sachgemäßes — nur ein Zeitalter, das tief unsachlich ist, erfindet das
Schlagwort Sachlichkeit — realistisches, nüchternes, verantwortendes, auf
das Ganze gerichtetes Denken und Wollen. Man möchte glauben,
daß in den seljgen Zeiten, da es nur das Wochenblättchen gab und der Mensch
wahrscheinlich nicht einmal geistig anspruchsloser und dümmer, jedenfalls aber
mehr Mensch war, es auch mehr Platz gab für das Volk, für den Ge-
danken: Einer für alle, und alle für einen! Welch schreiendes MLßverhält-
nis! Da wird Lelephoniert, telegraphiert, gefunkt und ferngesehen, gekabelt,
geflogen, photographiert, geredet, vorgetragen, konferiert, gedruckt und wieder
gedruckt, da werden Wälder zn Papier gemacht, Unterschriften gesammelt,
Volksbegehren inszeniert, wird Politik mit Stuhlbeinen getrieben, wird verboten,
zensiert, protestiert und wieder verboten, und so auf und an, unersättlich von
neuem — bis der letzte Rest von Anständigkeit, Gemeinbewußtsein, gutem
 
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