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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI issue:
Heft 1 (Oktoberheft 1931)
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Frankreich in Indochina, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0078

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Mlt dem Allge des Künstlers die tiefe Anmut diefes Dolkes erfchaut und nicht genug
zu preisen weiß. Er sieht z. B. einen Mann die Straße kehren: „mit welcher stolzen
Gleichgültigkeit, und wie wenig ist er der Sklave seines Besens! Er ist keine Ma-
schine, einen Besen zu bewegen." Einige Kulis wachen aus. „Es ist nicht das harte
Erwachen roher Menschen, die sich dem Abend zustürzen wollen. Es ist die Sanft-
mut der Welt, welche nicht aufgehört hatte, sondern wieder sichtbar wird." Was
sie auch tun, sie „unterbrechen die Lebenslinie nicht", sondern „in ihrer leichten Si-
cherheit, in der Zurückhaltung, Anmut und Scham zeichnet sich alles durchsichtig
mit eineni Strich wie ohne Dichtigkeit. Das ist etwas von einem anderen mensch-
lichen Gelingen als der vollkommenste Beamte oder der ingeniöseste Mechaniker".
Über die denkbar hochstehendste Höflichkeit dieses VolkeS sind sich alle Beurteiler
eim'g. blnd es ist eine Höflichkeit, die nicht wie ein Kleid angezogen wird, sondern die
das Jnnerste durchdringt. „Bei ihnen hat man immer das Gefühl, schlecht erzogen
zu sein." Dazu gehört natürlich em außerordentlicher Sinn für seelische Nuancen, und,
neben der in der starken weltanschaulichen Bildung bewahrten Jnstinktsicherheit der Na-
tur, eine äußerste Selbstbeherrschung und Zurückhaltung. „Würde ist sür uns, sich zu
überwinden und zu beherrschen, niemals die Gewalt der Gewalt entgegenzusetzen." Und
Garros sagt: „Das gesellschastliche Ansehen erwirbt sich dort zuerst durch Wissen, Ab-
gewogenheit von Gedanken und Taten, Familien- und bürgerliche Tugenden."

Diese Eigenschasten werden gerade im Gegensatz zu den stil- und haltlosen Kolonial-
europäern besonders stark empfunden. — Was die Schattenseiten anlangt, so steht
die allen Ostasiaten gemeinsame Spielleidenschaft an erster Stelle. Jm übrigen
fußen die Kritiken, wie unsere Bücher hervorheben, meisteus auf dem entwurzelten
Boy-Typ der Städte; und auch die leidenschaftlichen Ausstellungen Monets tressen
größtenteils nur den von dem französischen Einfluß erzeugten Kulturmischling. Er
wirft den Indochinesen Mangel an Jdealismus vor, Beschränkung aus reines Brot-
studium, Phrasenhaftigkeit und Großmäuligkeit gegenüber der abendländischen Kultur,
wenn sie kaum eben in sie hineingerochen haben. Nur eine geringe Minderzahl sei
einer selbstlosen Hingabe an die Jdee fähig. Soviel wir wissen, ist das in Europa
nicht anders; soweit jene Charaktertypen aber besonders bezeichnend sind, zeigt sich
bei Danlande deutlich, wie sie von der kulturellen Entwurzelung künstlich gezüchtet
werden. Es ist nicht leicht etwas Abstoßenderes denkbar als die Art, wie sich Van-
lande an Hand eines Tagebuchs über die Seelenqualen eines durch sranzösische Kul-
turbastardierung jedes ^nstinktes und jeder Reisungsmöglichkeit beraubten Jntellek-
tuellen lustig macht. — Dazu kommt dann natürlich noch dieselbe Entfesselung der
Jugend, wie sie heute aus der ganzen Welt zu beobachten ist. All das sind keine
Dinge, die sich im Ernste gegen die politische Reife dieses DolkeS ausspielen ließen.
blnd zudem sind dann dagegen begeisterte Loblieder zu halten, welche u. a. derselbe
Monet den ^ndochinesen widmet. Er nennt sie sein, empfindlich, sauber, arbeitsam,
tätig, erfindungsreich, voll Familiensinn, von strengster Sittenreinheit und fast über-
trieben schamhast; serner sehr dankbar, ritterlich, maßvoll und durch und durch kulti-
viert. Das intellektuelle Niveau ist im Durchschnitt dem europäischen nündestens
gleich. Der ^sndochinese versteht mit den europäischen Arbeitssormen jeden Grades
gut sertigzuwerden. Die eingeborenen Schüler pflegen besser zu sein als die euro-
päischen. — Dazu kommen dann noch die Willenseigenschaften des neuen Weltnatio-
nalismus, welche die sranzösische Bedrückung gezüchtet hat. ^sm GegensaH zu den
meisten Franzosen, die Charakterstärke in einer ihnen abträglichen Sache als doppelte
Schlechtigkeit betrachten, zeigt sich Roubaud (der solchen Szenen beiwohnte) aufs
tiesste beeindruckt von der lächelnden Festigkeit, mit welcher die verurteilten indochine-
sischen Berschwörer aus das Schasott zu steigen pflegen — eine unerschütterliche
Opserbereitschaft, welche kein Dorrecht einzelner mehr ist und die selbst Vanlande
anerkennen muß.

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