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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI issue:
Heft 3 (Dezemberheft 1931)
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Popp, Josef: Die Kunst Karl Knappes
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0226

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Fvrm, schließlich zur Formel abgeschwächt, viel eher verdichtet es sich und sein
geheimnisvolles Wesen zu dem, was der Künstler selbst mit Sigel bezeichnet, wird
Ausdruck, Zeichen, Schrift von beinahe runenartigem Charakter, entfernt sich mit
einem Wort von der kultivierten Sinnlichkeit des Optischen. Der gleichsam totemistische
Charakter der Dinge, das Rätselhafte ihers SeinS samt der ihnen innewohnenden Dä-
monie machen es verständlich, daß dem Auge allein, seiner schauenden Funktion, nichs
alles anvertraut wird, daß Knappes Kunst skch (vielfach) an den körperlich verweilen-
den oder sich bewegenden Menschen, d. h. an den ganzen Menschen wendet.

Das bedeutendste Werk des Kunstlers, das Münchner Kriegerdenkmal, auch in seiner
architektonischen Form seine Konzeption, ist so zu verstehen. Eine Gruft, ein Ort
des Verweilens und der Begegnung mit Gleichgesinnten im Gedächtnis der Toten.
Alle konventionellen Denkmäler und Bilder verblassen vor der entscheidenden Frucht-
barkcit dieses Formgedankens: die Erde selbst, zum symbolhaften Grabmal sich
ösfnend, ist es, die der Künstler denkt. Dem schaueuden Auge ist auf keiue Weise
genügt, von „plastischem Schmuck" ist nichts vorhanden, die Blöcke sind es, die in
runenhaften Andeutungen zum Schweigen mahnen. Die reine Betrachtung wird auch
vor den marschierenden Kriegern nicht völlig befriedigt; erdbeschwert und traumhaft
zugleich ziehen sie vorüber; sieht man näher zu, so stehen seltsam geformte und auf-
gebrochene Steinflächen da, runenhafte Symbole der Soldaten, die der deutfchen
Erde in Leben und Tod verfallen sind. Das Ganze keine Impression, sondern qeaen-
ständliche Wkrklichkeit.

Die Freude an der eigenwilligen Aktivität der Linie, die sich keiner Raumordnung
fügt, zeichnet den Plastiker aus. Wo deshalb der runde Gegenstand auf der Fläche
erscheint, da entsteht der Eindruck, als wolle er sich jeden Augenblick der scheinbaren
Reliefgebundenheit entziehen. Sehr im GegensaH zur Reliefausfassung der südlichen
Kunst, die ihren Triumph in der rällmlichen Schichtung und Bändigung der Dinge
sieht, arbeitet der Künstler in der Art, die an den Werken der älteren deutschen (z. B. an
den Hildesheimer Domtüren) oder älteren griechischen Kunst zu bemerken ist. Die in den
Figuren und Dingen lebendige barbarische Gegenstandskraft sträubt sich gleichsam ge-
gen die römische Formendisziplin des sechzehnten und siebzehnten AahrhundertS. Wo
aber das Relief der Natur der Sache nach notwendig ist, in der Kleinplastik der Mün-
zen und Plaketten — Knappe ist hier ein Meister besonderer Art —, da kommt auch die
Linie zu ihrem Recht, so sehr, daß gerade der Flächeneindruck verschwindet unter
der Herrschaft einer Linienführung und Anordnung, aus der die Freiheit des un-
endlichen RaumeS von selbst entsteht. So kommt z. B. an dem Modell zu einer
Bronzetüre gerade das räumliche Element mit besonderer Stärke zum Vorschein.
Die Abwendung von der schönen Formel, von den ästhetischen Kategorien der klafsi-
schen Kunst überhaupt, gibt dem Künstler vollständige Bewegungsfreiheit, erinnert
an die Natur mit ihrer Llngebundenheit. Jn der Tat lebt die Freiheit und Weite
der Natur in den Werken des Künstlers, nicht weniger freilich ihre unaufdringli'che
und dienende Art. Das deutsche Vergnügen am Felsen, am Baumstamm, überhaupt
an den Dingen der Natur in ihrer örtlich und sachlich gebundenen Stimmung kommt
überall zum Vorschein. Die in schöner Pose ans Tageslicht tretende Kunst des Sü-
dens fehlt vollständig.

Auf den ersten Blick mag es befremdend erscheinen, daß ein Bildhauer auch Glas-
maler ist, ja daß er der Kunst der Glasmalerei weseutliche (fmpulse zu geben ver-
mochte. Wenn man aber bedenkt, was der Glasmalerei ihr Leben gibt, nämlich die
mit physischer Kraft leuchtende Natur, so wird der Zusammenhang mit den sonstigen
Grundabsichten des Künstlers sofort deutlich. Denn der ungeheure seelische Spiel-
raum, den das abgründige Halbdunkel wie das unberechenbare Aufleuchten der nor-
dischen Welt enthält, erscheint gerade hier, in der spezifisch nordischen Kunst der
Glasmalerei, dem Künstler zur Verfügung gestellt, die Schranken der Form sind hier

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