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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 4 (Januar 1932)
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Mechow, Karl Benno von: Sorgenfrei
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0287

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Nücken am offenen FensLer gestanden haben muß, ja ja, und dann saß da
dieser ScharfschüHe auf dem Dach des Verwalkerhauses. Aber — weiter sagt
Barkels eben nichts...

Ich riLL an dem Wagen vorüber und sah wiederum Namm aus seinem
Bock. Er hielt die Leinen in seinen etwas zitternden Händen nnd lenkte die
Pserde. Der Kutscher ging, sich auszuwärmen, neben dem Wagen im Schnee.
So ist es immer mit Ramm, er macht sich nützlich. Er trägt jetzt einen
großen Fahrpelz, sieht aus wie alle Kutscher...

Ein kleiner Einschuß nur, ein winziges Löchlein, von den schweren braunen
Haaren ganz verborgen! Nkichts da, der Körper, der Leib — er ruhb
am sernen Finnischen Meer, liegt unter rauschenden Bäumen am Meer.
Mchts da — sie, sie ist mit uns, unter uns. Keine Stunde unseres Marsches
isi ohne sie. Nkachts ruht sie bei uns, schaut und sinnt, manchmal össnet sie
den Mund: „Ich sah", erzählt sie, „den kleinen Knaben Iorsik vom Felde
seiner Eltern kommen, auf den Schnltern trug er einen schweren Sack mit
Kartoffeln, so schwer! Sein kleiner Leib ging gebeugt, seine Kindersiirn war
von Sorgenfalten durchfurcht. Immer isi er so ernsi. Da ging ich eine Weile
mit ihm, sagte: Ei Iorsik, du ersetzsi deinem kranken Bater einen Knecht! Da
lächelte er. O es isi ein Wunder, wenn ein immer ernsies Kind lächelt!"
Das erzählt sie, und wir vergessen, was uns wichtig war. So ist sie mitten
unter uns, so lebensvoll...

Wir rollen durch die Länder, wir reiten und sahren; lange Strecken lausen
wir anch zu Fuß. Die Krähen sind hinter uns. In Esiland hatten wir
Gefechte. Bei Wesenberg faßten uns die Nussen von hinten, und 2luf-
siändische überfielen uns des Nkachts im Ouartier. Ietzt isi aber Frieden um
uns, wirklich tiefer Frieden. Alles isi siill unter der Kälte. Unsere Tages-
märsche sind kurz bemessen, damit unsere weichenden Kräfte nicht vor der
deutschen Grenze noch zerbrechen. Im tiefen Frieden zerbrechen. Zeitig am
Nkachmittag schon halten wir znr Ruhe an. Wenn ich von Hos zu Hof gehe,
nach dem Rechten zn sehen, finde ich meisi alles schlafend; die Menschen
schlafen, die Pferde schlafen. Nur Ramm traf ich ein paarmal, wie er auf
einer Kisie saß, oder in einer Scheunentenne umherging, von den Pserden
zu den Sätteln, von den Sätteln zu den Pserden. Einmal sah es aus, als
wollte er mich ansprechen. Ich machte kurz kehrt und ging weiter...
„Rkein", sagte Bartels, als ich ihn sragte. lbrein, auch er könne sich nicht
erklären, warnm dieser Mann so schrie, so surchtbar schrie, als wir die
Treppe herauf kamen. Erklären nicht, aber ausdenken schon, daß ein ge-
schundener Mensch, der bislang einsam gewesen, herausschreit erst daun,
wenn wieder Menschen um ihn sind. Da hinein denkt sich Bartels, er isi ein
wahrer Psycholog. Er liesi in fremden Seelen — aber mit seinen Angen
liesi er, wie das so isi bei den Menschen...

In anderen Seelen lesen, ha, auch ich kann das! Zwei Menschen, die
sich lieben, sollten sie nicht wünschen, gemeinsam zu sierben? Ein liebender
Mann, sollte er nicht bereit sein, seine Frau zu töten, um sie vor Schlim-
merem zu bewahren?

Herr du mein Gott, diese Frau, dies Wunder! Q dn liebes Gesicht, o du kleines
großes Herz! so sprach ich zu ihr, gleich am ersten meiner Tage in Sorgenfrei.

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