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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI issue:
Heft 5 (Februarheft 1932)
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André, Hans: Stilgesetze pflanzlicher Formgestaltung im Lichte Goethescher Naturanschauung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0341

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obwohl ihr HorrzonL die positive N'aturwissenschafL überwölbL, doch auch
lichLspendend und besruchLend aus die Forschung selber zurückwirkL. Schuld
daran LrägL zunächst die mehr künstlerisch-intuiLive als streng naLurtheoreLische
Behandlung der Fragen bei GoeLhe selber. Dann aber auch die Einengnng
unserer eigenen wissenschafLlichen ProblemsichL, die lediglich eine „Über-
seHung" der Erscheinungen im Sinne der mathemaLisierenden Physik, nichL
aber mehr eine EnLräLselung der Eigensyrache der Dinge aus ihren bild-
hafLen SLoffqnellen zuließ. Diese ÜberseHung ging bis zur Auflösung des
klassischen VerhälLnisses von Begriff und Anschanung, insofern die Denk-
modelle nnd maLhemaLischen HilssmiLLel der Physik „henLe Leilweise der Mög-
lichkeiL einer Veranschaulichung in der Blickbahn der Sinne völlig enLzogen
sind" (Pleßner).

Es mußLe also, bevor sich GoeLhes N'aLuranschauung überhaupL wieder wissen-
schastlich rechLserLigen konnLe, die bildbedingLe OrienLierung der Er-
kennLnis wieder in ihr alLes RechL eingeseHL werden. GoeLhe war sich schon
zu seiner ZeiL völlig klar über die Nvür>endigkeiL einer gewissen „Ästhetisie-
rung" der ülaturerkennLnis, aber auch — nnd darin zeigL sich seine GenialitäL
in ganz großem LichL — über den kriLisch einzuschlagenden Weg zu ihr.
„KanL", sagL er, „haL die Kritik der reinen Bernunft geschrieben, womit un-
endlich viel geschehen, aber der Kreis nichk abgeschlossen ist. JeHL müßte ein
Fähiger, ein BedeuLender, die KriLik der Sinne und des Menschen-
verstandes schreiben, und wir würden, wenn dies gleich vortrefflich geschehen,
in der deutschen Philosophie nichL viel mehr zu wünschen haben." Helmuth
Pleßner und Hermann Friedmann haben heute aus der kritisch-idealistischen
Fragestellung selbst heraus durch deren innere Ergänzung im Sinne der von
GoeLhe gemeinten KriLik der Sinne den Weg zum Gegenstande neu zu bahnen
versucht. Sie haben eine Theorie der bildbedingten (bes. opLisch bedingten)
morphologischen Erkennknis versuchL, bei der dieselbe die qualita-
Liven Sinnesdaten nichL mehr zu verlassen brauchL, sondern im Gegenteil an
Hand derselben erff das Typische der Prozeßsormen oder der GestalLen zu
ersassen und zur Einordnung der Einzelerscheinungen zn verwerten suchL*.
Durch diese BeLrachtungsweise kommL nun, wie namentlich der beste Goethe-
kenner unter den heutigen Biologen, der Münchner BoLaniker Wilhelm
Troll, gezeigL haL, in das Reich der organischen FormenLsalLung eine ganz
neue Ordnungsschau. Die Moryhologie gehk jeHL aus die Ersassung der
Wesenszüge der Formen. Der diese Züge in sich sassende Typus (z. B.
der N'elken- und der Gänsesußgewächse) ist nicht mehr als ein Schema oder
ein DurchschniLLsbild zu betrachten, um das die Abweichungen wie Zufalls-
änderungen sich gruypieren, sondern der Morphologe erfaßL in ihm einen
normativen Gehalt, der im Prozeß der FormenLsalLung eine Be-
grenzung der AbwandelbarkeiL in ganz bestimmter RichLung bedingL, ähnlich
wie die musikalischen Variationen uns syezisizierL erscheinen durch das musi-
kalische Thema. „So enksernL", sagL Goethe, „die GestalL der organischen
Geschöyfe voneinander ist, so sinden wir doch, daß sie gewisse Eigenschasten
miteinander gemein haben, gewisse Teile miteinander verglichen werden können.

* Nzhere Darlegung siehe in meinem Äuch: „Urbild und Ursache in der Biologie", Olöenbourg,
München.

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