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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1932)
DOI Artikel:
Alverdes, Paul: Denkrede auf Goethe
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0401

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gens einer wahrhaft geistigen Kultnr mit fürchLerlicher EnLfchlossenheiL ab-
gewandten deutschen NaLion ganz und gar nichts zu spüren. Ein öffentlich
feierndes Gedenken Goethes unter den bekannten und üblichen Aufwänden
komme daher einem Schauspiel gleich, das die heimlichen und die offenbaren
VerächLer seiner Gesinnung und Gesittung mit heuchelnden Mienen um seine
fchweigende und für immer versiegelte Gruft versammele; und wenigftens
dieses Schauspiel wünfchten sie sich nnd uns allen erspart zu wissen.

2lber hieße das nicht, ihm, der zu Lebzeiten aus dem Vollen gab und als ein
Ilnfferblicher niemals zu geben aufhört, den Dank und die Feier versagen, nur
weil sehr viele unter uns seine Gaben just nicht nehmen wollen oder können,
oder weil sie eben glauben, sich Besseres zu wissen? Und was endlich die
Meinung angeht, daß die Nmtion in ihrer GesamtheiL seiner nicht mehr
würdig sei, oder mit seinem Geiffe aber auch nichts mehr gemein habe und
anch nicht mehr haben könne — käme das nicht einer Selbffaufgabe unseres
eigenffen Wesens gleich? Damit aber wollen wir bis an ein Ende dieses Zeit-
alters, dessen Ausgang nicht in unserer, sondern des Schicksals Macht ffeht,
nicht das geringffe zu fchaffen haben.

Iawohl, wir sind im Elend, und ich meine damit nicht das Soziale allein,
so fürchterlich es sich eben jeht hervordrängk, sondern das Geiffige; jawohl,
wir sind arm, ratlos und hilflos auch in unserer Seele, und der Anzug, in
welchem wir zu einer Feier zusammentreten, iff alles andere als fefflich. Zu-
gegeben, wir wissen auch nicht mehr viel von den Schriften dieses Mannes;
wieviele unter uns lesen sie wirklich noch? und auch seine Gedichte sind bei
uns nicht mehr im Schwange wie diejenigen manchen geringeren Dichters
noch immer; zwar führen wir manche seiner Prägungen als Redensarten in
unserem Munde wie Sprichwörter und putzen in erhobenen Stunden unsere
Briefe und Ansprachen gerne damit auf. Aber wem wir sie danken, das
wissen wir lange nicht mehr und wollen es auch gar nicht wissen.

Zlber wen wollen wir denn eigenklich feiern, und wen zu feiern haben wir
nicht nnr das Recht, sondern die Pflicht, wie immer es auch mit der
geiffigen Befchaffenheit der Deutfchen und des Abendlandes überhaupt ffehe?
Doch wohl nicht den 2l u L o r Goethe allein, als den Verfasser dieser und
jener Schriften — so unersetzlich Leuer sie manchem von uns auch geblieben
sein mögen —, doch wohl auch nicht den Denker, nicht den Kunffgelehrten,
den Naturforfcher, den Staatsbeamten, den Theaterdirektor, den Reisenden,
den Pädagogen, auch nichk den Liebenden und Freund, sondern diese alle zu-
sammen und noch viel mehr, den deukfchen Menfchen Goethe.

Damit setze ich mich fchon allen Mißverffändnissen aus, die sich in unserer
gärenden und um und um erfchütterten Gegenwart mehr als jemals auch an
den Begriff des Deukfchen und des deutfchen Wesens gefchlossen haben und
fchließen. Aber rücken wir doch einmal getroff alles von uns weg, was die
landläufige Meinung dieser und jener Partei oder Geiffesrichtung uns als
das ausfchließlich Deutfche anträgt — wobei wir allzu häufig den einen Be-
griff den anderen in der Tat ausfchließen sehen —, und suchen wir im 2ln-
denken des von uns Gefeierten nach einer 2lrt von deutfchem Wesen, an
welchem wirklich die Welt, die Welt sage ich, und nichk nur wir alleine,
zu genesen vermöchten.

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