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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1932)
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Alverdes, Paul: Denkrede auf Goethe
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0402

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Eö grbt ernen kleinen, fast unscheinbaren Vers in Goethes Spruchweisheit,
der in diesem Sinne an das Geheimnis seines vollbrachken Daseins zu rühren
scheint. „Willst du dich deines Wertes freuen," heißt er, „mußt der Welt
du Wert verleihen."

Mun, daß er selber Wert hatte, sich seiner zu erfreuen, das wußte er wohl
längst aus dem einsam seligen und einsam leidvollen Umgange mit dem
Genius in seiner Brust — längst, ehe es die anderen wußten. Aber auch
sie wußken es, als einmal die erste Fülle und Herzenspracht seiner srühen
Schristen, der Leiden des jungen Werther vor allem und des Göh von Ber-
lichingen, bekannt geworden war, und als sich die Entzückten von der unver-
gleichlichen Gewalt seiner menschlichen Erscheinung mündlich und brieslich
entzückte Kunde zu geben begannen. Wir wissen wohl, daß in unserem
grausam nüchternen und zweislerischen Zeitalter kein Platz mehr sein will sür
die Wendungen von dem Götterjüngling und dem olympischen Feuer seines
Angesichtes, mit denen sich noch Generationen von N'achgeborenen das Bild
seiner Iugend vor die nachschwärmende Seele rückten. Wir wissen ferner,
daß den zeitgenössischen Beobachtern, welchen diese Wendungen entstammen,
die begeisterte, unter Tränen und Schwüren stammelnde und hauchende
Sprache als die eigentlich menschliche erschien, die im vertrauteren Umgang,
der Briefe und Tagebücher vollends, die allein erlaubte sein mochte. 2lber
dies beiseite, so sindet sich über keinen einzigen aus der nicht kleinen Schar
seiner mitstürmenden und drängenden Zeitgenossen, die alle schwärmten und
liebten und Herzensbünde stifketen wie er, die alle Verse, Dramen, Schmäh-
schriften verfaßten und mit Weltgedichten umgingen wie er, — findet sich
über nicht einen von ihnen diese volle Einhelligkeit des Hingerissenseins, der
zauberischen Beglückung durch seine lebendige Gegenwart. Lassen Sie nur
einige von diesen selber zu Ihnen sprechen und das Bild des jungen Goethe
malen. Knebel, weiland preußischer Gardeossizier und hernach Prinzen-
erzieher und nach seiner ganzen Person durchaus nicht im Verdachte der
Schwärmerei, sagt von ihm, daß er am Hose zu Weimar ausgegangen sei
wie ein Stern, der sich eine Zeitlang in Wolken und Nebel verborgen hat.
Dort sah ihn auch Klinger, unter anderm der Dichter des Dramas „Sturm
und Drang", das jener ganzen Epoche unserer Dichtung den Nckmen gegeben
hat, und schreibt über den damals Siebenundzwanzigjährigen: „Hier sah
ich und seh käglich, das würklich über Goethe sich so wenig sagen läßt, als
man eigentlich über den Sohn Gottes sagen sollte, wenn man ihn glaubt."
Das schönste Zeugnis aber verdanken wir Wieland, eben jenem Wieland,
den Goethe noch nichk lange zuvor durch sein Spottstück „Götker, Helden
und Wieland" im Innersten gekränkt hakte. „Goethe ist angelangt! Was
soll ich sagen?" schreibt er auf. „Wie ganz der Mensch beim ersten Anblick
nach meinem Herzen war! Wie verliebt ich in ihn wurde, da ich an der Seike
dieses herrlichen Iünglings zu Tische saß! Alles was ich jetzt von der Sache
sagen kann, ist dies: seit dem heutigen Morgen ist meine Seele so voll von
Goethe, wie ein Tautropfen von der Mvrgensonne. Der göttliche Mensch
wird, denke ich, länger bei uns bleiben, als er anfangs selbst dachte, und wenns
möglich ist, daß aus Weimar etwas Gescheikes werde, so wird es seine Gegen-
wart tun." Und noch einmal: „Er ist in allen Betrachtungen und von allen

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