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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1932)
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Alverdes, Paul: Denkrede auf Goethe
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0409

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schen von dieser Welt, und nichk nnr eines Verklärten und zn den Un-
sterblichen Eingegangenen heraufzurufen.

Und doch geschah ihm nicht sehr lange nach seiner Rückkehr das nicht mehr
vermutete Glück einer Gesellschast, ja einer Freundschaft, die seiner würdig
war. Schiller bewunderte, verehrte ihn längst, und vielleicht war er der
einzige seiner Zeitgenossen, der aus der Großartigkeit seiner eigenen 2ln-
schauung heraus den wahren Umsang und die wahre Größe seines Wesens zu
erkennen imstande war. 2lllein Goethe, dessen Kunstverstand, und mehr
noch, dessen Weltanschauung die Iugenddramen Schillers, die Räuber vor
allem, nicht weniger abstießen als hernach die Schöpsungen Heinrich von
Kleists, hatte sich ihm verschlossen und ließ ihn jahrelang in seiner unmittel-
baren Rkähe und Nachbarschast leben und wirken, ohne daß er ihn wahr-
zunehmen schien. Sah er doch die Verwandtschaft mit den Geistern der
Französischen Revolution, deren Wellen ihm den Boden unter den Füßen
wegzuschwemmen drohten. Endlich aber begegneten und sanden sie einander
doch, und nun folgten noch zehn Iahre einer Verbundenheit und einer gegen-
seitigen Erfrischung und Durchdringung aller schaffenden Kräfte, die in der
Geschichte des menschlichen Geistes kaum ihresgleichen hat. Ihr unver-
gängliches Denkmal ist der Brieswechsel, den der achtzigjährige Goethe, der
„Überbliebene", wie er sich in der Widmung nennt, mit folgenden erhaben-
bescheidenen Worten seinem Verleger übergab: „Der Begriss, was wir beide
gewollt, wie wir uns aneinander gebildet, wie wir einander gefördert, was
uns gehindert, wie weit wir mit unseren Leistnngen gediehen, und warum
nicht weiter, wird alles klarer und muß denen, die auch bestrebsam sind, znr
guten Leuchte dienen." Nehmen wir es als ein Gleichnis des innigsten Zu-
sammenschlusses ihrer Naturen, daß, als der Freund aus das lehte Lager
zu liegen kam, Goethe selber auf den Tod erkrankt war und zu sterben ver-
meinte. Erst als Schiller schon begraben lag, erfuhr er von seinem Tode.
„Ich dachte mich selbst zu verlieren," schrieb er, „und verlor nun einen Freund,
und in demselben die Hälste meines Daseins."

Von da an wird er immer nur einsamer. Ich meine nicht die Einsamkeit
des Ilngeselligen: wir wissen, daß er ein großes Haus hielt, in dem er sich
gerne aussuchen ließ; er hatte Kinder und Enkel; und endlich verjüngte, be-
seuerte, ja erschütterte den Alten immer wieder die Liebe, wie sie den Iungen
erschüttert hatte, und bewegte ihn unterm weißen Haar zu Gedichten, die an
mächtigem Feuer der Empfindung alles hinter sich lassen, was er jemals ge-
sungen. Llllein was er sann und sorgte, das waren immer weniger die Ge-
danken und Sorgen der andern. llngeheure politische Ereignisse nahmen
die Herzen und Gedanken Deutschlands, ja der ganzen Welt gefangen: Rka-
poleons Glanz und ltntergang, die Besreiung Europas von der sranzösischen
Vorherrschaft. Er stand schweigend abseits. „Einsam wird es dem Men-
schen zu Mute, der nnr den ältesten, ersten, Liefsten Gesühlen der Wahrheit
seine Seele eröstenen will," hatte er einmal ausgeschrieben, und da er ausjenem
Suchen nach Wahrheit immer Liefer beharrte, so fand er sich zwar immer
ehrsürchtiger geliebt, aber immer weniger verstanden. Fast liest es sich wie
eine Sage, wenn Besucher den Alten in seinem Garten hinter dem Hause
schildern, ein Schirmkäppchen zum Schuhe der Llugen aus dem weißen vollen

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