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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI issue:
Heft 6 (Märzheft 1932)
DOI article:
Alverdes, Paul: Denkrede auf Goethe
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0410

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Haar, in ernem langen brannen Überrock, wie er von der Last seiner Iahre
nur ein wenig gebeugt mit Kindern und Pslanzen väterlichen Umgang hatte.

Er besorgte zuleht nur noch eines, nämlich sein Lebenswerk, vor allem den
Faust, der ihm ja nun wie ein großartiges Symbol des eigenen erfahrenen
Daseins erslheinen konnte, nicht unvollendet zu hinterlassen. „2lm Ende des
Lebens gehen dem gefaßten Geiste Gedanken aus, bisher undenkbare," schrieb
er, „sie sind wie selige Dämonen, die sich aus den Gipseln der Vergangen-
heit glänzend niederlassen." Von diesem gefaßten Geiste, von der Weisheit,
die er einmal vorgeahnt hatte, wollte er noch Zeugnis hinterlassen haben, und
dies erkläre uns jenes sast wunderliche Answeichen seines letzten Iahr-
zehntes vor aller Erschemung und bloßen Erinnerung der Zerstörung und des
Todes. Er kannte sich zu gut, nm nicht jede Erschütterung sürchten zu müssen,
und so wich er allen Ünglücksorten, Brandstätten, Leichenbegängnissen sorg-
lich aus uud scheute sich selbst, den Tod auch nur bei seinem Nümen zu nennen. Im
einundachtzigsten Iahre aber „hatte er das Glück", „das Hauptwerk" voll-
endet zu sehen, und nun konnte ihn allerdings der Gedanke an den Tod, wie
er schrieb, „in völliger Ruhe" lassen. „Ich habe die feste Überzeugung,"
sagte er, „daß unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Ncktur; es ist
ein sortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die
bloß unseren irdischen Llugen unterzngehen scheint, die aber eigentlich nie unter-
geht, sondern unaufhörlich fortleuchtet."

Lassen Sie mich zum Schlusse dieses Wort auf sein eigenes geistiges Wesen
beziehen. Ich nannte es eigentlich dentsch in seiner Vereinigung von Grenzen-
losigkeit und Mäßigung, von Ahnung und Weisheit, von Leidenschaft und
Gesittung. Wenn Sie aber nach dem Rechte fragen, gerade dieses Wesen
deutsch zn nennen, so lassen Sie mich antworten, daß kein anderer als Goethe
selbst uns durch sein vorgelebkes Leben dieses hohe Necht, ja die Pslicht dazu
hinterlassen hat, und daß er wohl groß genug gewesen ist, uns mit seinem
Dasein und Werk auch eine neue Epoche unserer Begriffe von uns selber
zu erössnen. „Dentschland," schrieb Friedrich Wilhelm Schelling am28. März
i6g2, drei Tage nach seinem Tode, „Deutschland war nicht verwaist,
nicht verarmt, es war in aller Schwäche und innerer Zerrüttung groß,
reich nnd mächtig von Geist, solange Goethe lebte." Wenn aber wirklich
der Geist ein unzerstörbares Wesen iß, ein fortwirkendes von Ewigkeit zu
Ewigkeit, nie nntergehend, sondern unaufhörlich fortleuchtend, der Sonne
ähnlich — wie sollte es anders sein, als daß wir Deutschen von heute --
wiederum verarmt, verwaist, geschwächt und zerrüttet — uns unbeirrbar
dieses nnverlöschlichen Lichtes erfreuen, das sich einstmals aus nnserem eigenen
Volk und Wesen enkzündet hat?

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