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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1932)
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Johann Wolfgang Goethe: Bedeutung des Individuellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0412

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er cmf sich selbsi Medaillen schlagen ließ und sie an Freunde nnd Gönner
verehrie; und mich machk es glncklich, ein gaar davon in meiner Sammlung
zu besitzen und ein Bild vor mir zu haben, das er selbsi anerkannt.

Wir sind überhaupt von einer Seite viel zu leichtsinnig, das individuelle
Andenken in seinen wahrhasten Besonderheiten als ein Ganzes zu erhalten,
und von der anderen Seite viel zu begierig, das Einzelne, besonders das Her-
unterseHende zu ersahren.

Verhältnis, sl^eigung, Liebe^ Leidenscchaft, Gewochnheit

Die Liebe, deren Gewalt die Iugend empfindet, ziemt nicht dem Lllter; so
wie alles, was Produktivität voraussetzt. Daß diese sich mit den Iahren
erhält, ist ein seltener Fall.

2llle Ganz- und Halbpoeten machen uns mit der Liebe dergestalt bekannt, daß
sie müßte trivial geworden sein, wenn sie sich nicht naturgemäß in voller Krast
und Glanz immer wieder erneute.

Der Mensch, abgesehen von der Herrschast, in welcher die Passion ihn
sesselt, ist noch von manchen notwendigen Verhältnissen gebunden. Wer diese
nicht kennt oder in Liebe umwandeln will, der muß unglücklich werden.

Alle Liebe bezieht sich aus Gegenwart; was mir in der Gegenwart angenehm
ist, sich abwesend mir immer darstellt, den Wunsch des erneuerten Gegen-
wärtigseins immersort erregt, bei Erfüllung dieses Wunsches von einem leb-
hasten Entzücken, bei Fortsetzung dieses Glücks von einer immer gleichen
Anmut begleitet wird, das eigentlich lieben wir, und hieraus folgt, daß wir
alles lieben können, was zu unserer Gegenwart gelangen kann; ja, nm das
Letzte auszusprechen: die Liebe des Göttlichen strebt immer darnach, sich das
Höchste zu vergegenwärtigen.

Ganz nahe daran steht die Neigung, aus der nicht selten Liebe sich entwickelt.
Sie bezieht sich auf ein reines Verhältnis, das in allem der Liebe gleicht, nur
nicht in der notwendigen Forderung einer sortgesetzten Gegenwart.

Diese Neigung kann nach vielen Seiten gerichtet sein, sich aus manche Per-
sonen und Gegenstände beziehen, und sie ist es eigenklich, die den Menschen,
wenn er sie sich zu erhalten weiß, in einer schönen Folge glücklich macht.
Es ist einer eignen Betrachtung wert, daß die Gewohnheit sich vollkommen
an die Stelle der Liebesleidenschast setzen kann; sie sordert nicht sowohl eine
anmutige als bequeme Gegenwart, alsdann aber ist sie unüberwindlich. Es
gehört viel dazu, ein gewohntes Verhältnis aufzuheben, es besteht gegen alles
Widerwärkige; Mißvergnügen, Unwillen, Zorn vermögen nichts gegen das-
selbe, ja es überdauert die Berachtung, den Haß. Ich weiß nicht, ob es einem
Romanschreiber geglückt ist, dergleichen vollkommen darzustellen; auch müßte
er es nur beiläusig, egisodisch unkernehmen, denn er würde immer bei einer ge-
nanen Entwickelung mit manchen Unwahrscheinlichkeiten zu kämpsen haben.

Bedenklichstes

Gar ofk im Lause des Lebens, mitten in der größten Sicherheit des Wan-
dels bemerken wir aus einmal, daß wir in einem Irrtum besangen sind,
daß wir uns sür Personen, sür Gegenstände einnehmen ließen, ein Berhält-
nis zu ihnen erträumten, das dem erwachten Ange sogleich verschwindet; und

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