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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI issue:
Heft 6 (Märzheft 1932)
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Johann Wolfgang Goethe: Bedeutung des Individuellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0437

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Schwer, vielleicht unmöglich wird es aber dem Iüngeren, einzusehen, daß
hiedurch im höhern Sinne noch wenig getan ist. Betrachtet man solche Er-
zeugnisse genan, so wird alles, was im Innern vorgeht, alles, was sich auf
die Person selbst bezieht, mehr oder wem'ger gelungen sein, und manches auf
einen so hohen Grad, daß es so tief als klar und so sicher als anmutig aus-
gesprochen ist. 2llles Allgemeine, das höchste Wesen wie das Vaterland, die
grenzenlose llkatur sowie ihre einzelnen unschätzbaren Erscheinungen über-
raschen uns in einzelnen Gedichten junger Männer, woran wir den sittlichen
Wert nicht verkennen dürfen und die Ansführung lobenswürdig finden
müssen.

Hierinne liegt aber grade das Bedenkliche: denn viele, die auf demselben Wege
gehn, werden sich zusammen gesellen und eine freudige Wanderung zusammen
antreten, ohne sich zu prüfen, ob nicht ihr Ziel allzn fern im Blauen liege.
Denn leider hat ein wohlwollender Beobachter gar bald zu bemerken, daß
ein inneres jugendliches Behagen auf einmal abnimmt, Trauer über ver-
schwundene Freuden, Schmachten nach dem Berlornen, Sehnsucht nach dem
Ungekannten, Unerreichbaren, Mißmut, Invektiven gegen Hindernisse jeder
2lrt, Kampf gegen Mißgunst, llleid und Bersolgung die klare Quelle Lrübt,
und die heitere Gesellschaft vereinzelt und zerstreuet sich in misanthrogische
Eremiten.

Wie schwer ist es daher, dem Talente jeder Art und jedes Grades begreiflich
zu machen, daß die Mnse das Leben zwar gern begleitet, aber es keineswegs
zu leiten versteht. Wenn wir beim Eintritt in das tätige und kräftige, mik-
unter unerfreuliche Leben, wo wir uns alle, wie wir sind, als abhängig von
einem großen Ganzen empfinden müssen, alle früheren Träume, Wünsche,
Hoffnungen und die Behaglichkeiten früherer Märchen zurückfordern, da
entfernt sich die Mnse und sucht die Gesellschaft des heiter Entsagenden, sich
leicht Wiederherstellenden auf, der jeder Iahrszeit etwas abzugewinnen
weiß, der Eisbahn wie dem Rosengarten die gehörige Zeit gönnt, seine eignen
Leiden beschwichtigt und um sich her recht emsig forscht, wo er irgendein
Leiden zu lindern, Freude zu fördern Gelegenheit findet.

Keine Iahre Lrmnen ihn sodann von den holden Göttinnen, die, wenn sie
sich der befangenen Ilnschuld erfreuen, auch der umsichtigen Klugheit gerne
zur Seite stehen, dort das hoffnungsvolle Werden im Keim begünstigen, hier
eines Bollendeten in seiner ganzen Entwicklung sich freuen. Und so sei mir
erlaubt, diese Herzensergießung mit einem Reimwort zu schließen:

Iüngling, merke dir in Zeiten,

Wo sich Geist nnd Sinn erhöht:

Daß die Muse zu begleiten,

Doch zu leiten nicht versteht.

Lirerarischer Sansculottismus

Wer mit den Worten, deren er sich im Sprechen oder Schreiben be-
dient, bestimmte Begriffe zu verbinden für eine unerläßliche Pflicht
hält, wird die Ausdrücke klassischer Autor, klassisches Werk
höchst sellen gebrauchen. Wann und wo entsteht ein klassischer Nntional-
autor? Wenn er in der Geschichte seiner 92ation große Begebenheiten und
 
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