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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 7 (Aprilheft 1932)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0538

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mllß lllld ihn nicht aus dem Auge ver-
lieren darf. Denn in der Politik han-
delt es sich nicht um das, was sein könnte
oder sollte, sondern um das, was i st, in
seinem nackten existentiellen Ernst. Dieser
Ernstfall hat einen anderen Ort als der
liberale Grenzfall der Feindschast, denn
seine Jltöglichkeit ist nicht nur eine theo-
retische, die, „um vollständig zu sein",
allenfalls auch noch in Betracht kommt.
Er liegt nicht an der Peripherie, so daß
er praktifch wie die letzten Dezimalstellen
abgestrichen werden darf, sondern er liegt
im G r u n d e und ist in jedem Augenblick
drohend da, wenn man nur den Dingen
auf den Grund gehen will. Das meint
auch Schmitt, wenn er sagt, daß das Po-
litifche nicht ein Sachgebiet neben den an-
dern Sachgebieten bezeichne, sondern einen
Jntensitätsgrad menfchlicher Assoziationen
oderDissoziationen,undzwardenGrenzfall
der harten existentiellen Begegnung. Dai>
aus folgt auch, daß es nichts gibt, was
nicht unter den politifchen GesichtSpunkt
treten und politifch relevant werden kann,
ja muß.

*

Schmitt macht darauf aufmerksam, daß
„alle echten politifchen Theorien den
Menschen als böse vorauösetzen, d. h. als
keineswegs unproblematischeS, sondern als
,gefährliches^ und dynamifches Wesen."
Jn der Tat ist das Wesen der Politik nur
von hier aus zu verstehen. „Böse" heißt
dabei nicht, daß er auch einmal böse ist;
es heißt aber auch nicht, daß er guter
Regungen und Handlungen überhaupt
nicht fähig und durch und durch eine Be-
stie sei. S o wäre nur zu verstehen, daß
es, soweit die Menfchen böse sind,
a u ch Politik gibt, oder daß es n u r Po-
litik gibt, wobei aber die Politik selber
als das Böse verstanden wird. Daß der
Menfch böse ist, heißt vielmehr, daß er
unberechenbar ist, daß auf seine Güte
nicht zu bauen ist und mit seiner Bosheit
als Möglichkeit gerechnet werden muß.
Nur von hier aus ist Politik in ihrer
Notwendigkeit und Unausweichlichkeit, als
menschlicheS Schicksal zu verstehen. „Po-
litik verdirbt den Charakter"; das bedeu-
tet nicht, daß der Politiker selber böse
sei, sondern daß er mit dem Bösen rech-
nen muß und nicht wie der Erzieher
an das mögliche Gute im Menschen
appellieren darf. Der Politiker als sol-
cher darf nicht Jdealist sein, denn seine
Aufgabe liegt da, wo aller Jdealismus

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zu Ende ist. Der blrsprung der
Politik liegt darin, daß di>e
Menschen in der Freiheit, sich
selber überlassen, die Neigung
haben,eherdie M öglichkeiten
desBösen als desGutenzu re -
alisieren. Aus diesem Grunde muß
politisches Denken immer auf den Wider-
stand, selbst auf die Möglichkeit des
äußersten Widerstandes, d. h. der Feind-
fchaft gerichtet sein und darf der Politiker
nicht damit rechnen, daß das, was er wils
„von selber" kommt. Höchstens ist zu fra-
gen, wie weit er als Politiker in der
PraxiS zugleich Erzieher sein kann.

-1-

Schmitt spricht von der „Unterfcheidung
von Freund und Feind" und fieht das
Wesen der politifchen Existenz des Staa-
tes darin, „maßgebend darüber zu ent-
scheiden, wen er als Feind betrachtet und
behandelt". Darin liegt die Möglichkeit
des MißverständnisseS, daß die Souverä-
nität des Staates darin bestehe, willkür-
lich, d. h. aus Staatsraison, auS imperia-
listischen Gründen, einen andern Staat
sich zum Feinde zu machen, d. h. ihm den
Krieg zu erklären. Dieses Mißverständ-
nis liegt um so näher, als Schmitt sagt,
daß eine konkrete Gegensätzlichkeit um so
politischer sei, je mehr sie sich dem äußer-
sten Punkte der Freund-Feindgruppie-
rung, daS heißt also dem Ernstfall der
Feindschaft und des Krieges, nähere. ^sn
der Tat tritt auch in feinen Darlegungen
das Freundverhältnis ganz zurück und
spielt eine Rolle nur als der andere Pol
der Freund-Feindgruppierung. Umge-
kehrt fällt das ganze Gewicht auf die
Möglichkeit der Feindfchaft, so daß sie
unwillkürlich den Charakter der Unaus-
weichlichkeit, ja der Notwendigkeit er-
hält. Obwohl Schmitt auSdrücklich eine
bellizistische ^nterpretation seiner Theo-
rie im Sinne einer Rechtfertigung des
Krieges ablehnt, entsteht so der Anschein,
daß jedes politische Verhältnis als solches
nicht bloß die theoretische Möglichkeit, son-
dern die Neigung in sich trage, sich zur
Feindschaft zu verfchärfen. Man würde
jedoch Schmitt damit zweifellos falsch
verstehen. Es ist ein anderes, eine Politik
zu machen, die in jedem Augenblick an die
ultinm rstio appelliert und durch Sä-
belrasseln zum Kriege hintreibt, und i n
der Politik sich der Möglichkeit des Ernst-
falles bewußt zu bleiben, der so lange im-
 
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