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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 9 (Juniheft 1932)
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Einstein, Alfred: Situation der Oper
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0625

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Oper ist die GeschichLe eines ununterbrochenen Kampfes um diesen Schwer-
punkL. Im 17. IcchrhunderL hat die Schaulust die unbedingte Vorherrschaft,
und der wichtigste Mann ist nicht der DichLer oder der Musiker, sondern der
Szenenmaler und noch mehr der Maschinist. Dann macht der Sänger, in
dessen AbhängigkeiL der Komponist immer mehr gerät, dem Maschinisten die
Gunst des Operngenießers streitig. Im 18. IahrhunderL beginnt die Aus-
einandersetzung zwischen den Älnsprüchen von DichLung und Musik; ein
innerer KonflikL, dessen Lösung eigmLlich in jedem einzelnen Werk neu ver-
sucht wird. Es gibL OperngatLungen, in denen eine ästhetisch reine Lösung
überhaupt nicht möglich ist, wie die opsra eomicsus oder das deutsche Sing-
spiel, Ln denen der Übergang vom gesprochenen WorL zur Musik und um-
gekehrL immer ein peinlicher Augenblick ist. Es kommL der wachsende An-
spruch der Musik auf die Oper überhaupL, ein Anspruch, vor dem das Sing-
spiel verschwindeL. Es kommt, unter dem Einfluß der machtvollen Entwick-
lung der deuLschen Sinfonik, die Gefahr vom Orchester her; der Ausgleich
zwischen Gesang und Begleitung wird immer schwieriger. Der Begriff der
Oper wird selber problematisch. Wagner versucht, das Verhältnis von
Musik und Dichtung neuzugestalten, umzudrehen, nennt das Drama den
zeugenden, männlichen Teil, die Musik den weiblichen und empfangenden, und
LaufL Musikdrama, was in seiner Hauptwirkung eben doch immer Oper ist
und Oper bleibt. Aber wir wissen ja alle, daß in dem anscheinend so ein-
heitlichen Wagnerschen Kunstwerk die Schwerpunkte fortwährend wechseln,
daß immer ein doppelter KonflikL zu überwinden ist: der wechselnde An-
spruch von Drama und von Musik, und der wechselnde Anspruch des sin-
fonischen und vokalen Prinzips; zwei Ansprüche, die nicht immer zusammen-
fallen. Der zweite AkL des „Tristan" hat seinen Schwerpunkt unbedingt im
Orchestralen, Sinfonischen, genau so wie der Ausklang des dritten Akts, oder
der Ausklang der „Meistersinger"; und jeder Hörer müßte unbefriedigt blei-
ben, der in all diesen Fällen den Schwerpunkt im Vokalen suchen wollte.
Auf der anderen SeiLe hat Wagner oft genug auch in seinem Spätwer?
eine hinreißende KanLabiliLät im reinsten Opernsinn gefunden. Was für Wag-
ner gilt, gilt in erhöhtem Maß für die nachwagnerische Oper, etwa für die
Orchester-Oper von Richard Strauß. Strauß hat an der „Elektra" selber
die Gefahr des „sinfonischen" Opernprinzips erkannt und ist dann auf ver-
schiedenen Wegen einer neuen harmonischen Verbindung von WorL und Ton,
von Drama und Musik nachgegangen. Diese Problematik, die sich in dem
Gegensatz „Oper und Drama" zusammenfassen läßt, ist eine nationale
deutsche AngelegenheiL. Für die italienische Oper existiert sie nicht und hat
sie eigentlich, Lrotz Gluck oder den alten Florentinern, nie eristiert. Es ist
den Italienern nie der Gedanke gekommen, daß in der Oper etwas anderes domi-
nieren könnte als der Gesang;und das nationale Verdienst Verdis besteht in der
Tat darin, daß er in einem Augenblick der Gefahr die italienische Oper vor der
Invasion des Wagnerschen Opernprinzips bewahrL hat. Was dieser rasche
geschichtliche Überblick bezweckt, ist nichts anderes, als zu zeigen, wie schwer es
die Oper als Gattung an sich hat, wie selten das Ideal erreicht wird,
daß für Drama und Musik sozusagen die Waagschalen im Gleichgewicht
stehen, daß das Tempo von Wort und Ton zusammenfällt, wie etwa in

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