Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1932)
DOI Artikel:
Linfert, Carl: Französische Kunst in London, [2]: aus Anlaß der großen Ausstellung in der Königlichen Akademie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0892

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
der rieuesteri Kunst ist darauS die Katastrophe ertvachsen und diese selbst zu einem
Gegenstand der Kunst erhöht. Auch für die Franzosen, denen die Natur selbst schon
Form zu bieten schien, wuchsen die Schwierigkeiten.

Daß aber ein solcher Ausgleich, wie von Natnr, diesem Volk stets aufs neue
gelang, machte die lllberleitung vom Mittelalter in die Renaissance fast unmerklich.
Wie von selbst ergab sich jetzt eine sinnlich uberaus durchtränkte Regelform und jene
fast pedantische, ja geradezu „moralische" Liebe zu ihr, die in der Renaissance so richtig
erst herauökommt. Es ist nicht mehr Venedig, sondern der strenge, aber schon
gezierte und von der „reinen Schönheit" gleichsam gequälte Figurenkanon der
Florentiner, der mit den Künstlern, die Franz I. nach Fontainebleau berief, sofort
in Frankreich Fuß faßte. Wenigstens ein bezeichnendeS Bild aus dieser form-
beengten und versteckt so leidenschaftlich fühlenden Zeit enthielt die Ausstellung:
VenuS weint um den toten Adonis (Algier). Das Ereignis selbst, in der Besetzung
mit vollkommenen Menschenfiguren in mythologischem Gewand, ist die Haupt-
sache. Die Landschaft mit den lappigen, falbgrünen Strauchern und dem schwim-
menden Rosa in der Ferne ist nur Beiklang der Gefühle, hat nichts mehr von der
flämischen übergrünen „Natürlichkeit". Der Kanon, die kalte Musterfigur, trägt
selbst die Tragik in sich, bedarf nicht der besonderen psychologischen Gefühls-
bezeichnung wie später. An den Figuren kommt es zum Vorschein, daß die er-
regte Klage und das Preziöse (das die meisten Beurteiler allein gewahr werden)
miteinander verbunden sind. Die dünnen, wie aus Draht geriefelten Schleier-
gewänder sind wie vom Wind gehoben — abgekürzter Ausdruck des angstvollen,
hastigen Laufs. VenuS ist eine geschmückte und vertrauert jammernde Schönheit,
und doch recken sich ihre Arme in gequälter, entstellender, kurz abgehackter Bewe-
gung. Das Maß hält nicht vor in dieser „Klassik". Und Adonis ist wirklich „Leiche",
festlich angezogen, aber dies Kostbare ist leblos wie nie. Er wirkt auch häßlich,
verknorpelt, unproportioniert, obwohl er schön und göttlich ist. Das strahlende
Wesen vermag nichts mehr, liegt jetzt am Boden wie ein abgehauener Baum-
stumpf. So quillt dann daS Häßliche erschreckend mitten durch die Schönheit. Sie
bleibt reglos, behängt mit Spitzenschmuck und Wunden, ergrisfen von der TodeS-
lähmung, die Leib und Schönheit durch keine Stille mehr verklärt. Dies hatte
nur die religiöse Form vermocht. Sie fehlt oder kommt doch nur als solche schwarze
Lücke auf den Plan der Bilder. Jn allen Werken der langsam an sich selbst und
ihrem Formglück zergehenden Renaissance ist dieses dunkle Tor am Ende offen.
Auch die wunderbare Eva Prima Pandora des Cousin (Louvre) ist eine Leiche,
eine unlebendig und unhimmlisch Entrückte, — und nicht etwa fades Aktbild eineS
erfindungsarmen Künstlers. Und wenn ich „Leiche" sage, so ist das mehr als
Anatomie, nämlich die Grenze von Schönheit und Tod, deren man sich nie so
bewußt geworden ist wie im Schönheitskult jener Zeit. Deshalb auch beginnt die
Höhle eher zu leben als der Mensch darin, erst recht die tierisch gewundene Vase,
die rufende Aischrift und die graue, rieselnde Erde mit der Stadt in der Ferne,
die Pyramiden und Kuppeltempel hochwirft. Mir will scheinen, daß man anch in
den feinen, reichen Köpfen des Iean Clouet mit der dünnen, geäderten Haut oder
in Franyois Clouets Bild von Franz I. (Florenz), der durch eine vereiste Welt
reitet, und vor allem in den grün und grau durchleuchteten Porträts des Corneille
de Lyon diese zwar schmuckfrohe, aber skeptisch eingezogene Selbstbespiegelung
bemerken muß. Selbst einem so einfach genußvollen Bild wie dem der badenden
Diana von Poitiers (Slg. Cook, Richmond), die weiß auS dem metallisch blauen
Dämmer des Zimmers leuchtet, ist jene leise Furcht nicht fern. Während wir diese
eifernd schönen Werke betrachten, sollten wir immer auch das Schneidende spüren,
das in der Muster-Schönheit solcher Zdeale der Sinne und überhaupt in den
Sinnfiguren der kühlen Regel liegt.

769
 
Annotationen