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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI issue:
Heft 12 (Septemberheft 1932)
DOI article:
Briccius, W. A.: Unbequeme Zahlen zur Arbeitslosigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0904

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DaS zahlenmäßige Ergebnis der Rationalislerung ist, daß das um 10 Prozenk
höhere Produktionsvolumen des Jahres igzo mit einer unter dem Durchschnitt
des Jahres 1926 liegenden Arbeitsstundenzahl geleistet Merden konnte. Das
Produktionsvolumen des Jahres 19ZI, das nur toenig unter dem
des Jahres 1926 liegt, erforderte nur eine um fast 20 Prozent geringere
Arbeitsmenge. Die Aufschtvungsperiode 1927 bis 1929 vermochte nicht nur
die durch die Rationalisierung freigesetzten Arbeitskräfte, sondern auch noch den
größten Teil der aus der Depressionsperiode 1926 vorhandenen Arbeitslosigkeit
wieder aufzusaugen. Die krisenhafte Zuspitzung der Arbeitslosigkeit begann erst
mit der Niedergangsperiode 19Z0/ZI. Die aufgesogenen Arbeitskräfte tvurden
wieder frei, und nunmehr wurden auch die durch die Rationalisierung überschüssig
gewordenen Arbeitskräfte wieder ausgestoßen. Der natürliche Zuwachs und
die § reisetzung durch Leistungssteigerung kann für das Gesamtgewerbe etwa
auf 2,4 M i l l i 0 n e n Arbeitslose geschätzt werden.

Aber auch die deutsche Lohnpolitik ist an dem geringen Erfolg der Ratio-
nalisierung, soweit ihr Gelingen von der Aufnahme vermehrter Waren durch das
Ausland abhängig war, nicht unbeteiligt. Jede echte Rationalisierung führt zur
Steigerung der Produktivität und der Kaufkraft, gleichgültig ob dies nun auf dem
Wege über erhöhte Löhne oder verminderte Preise erfolgt. Für Deutschland war
eö jedoch nicht belanglos. Da die Rationalisierung von der exportorientierten Ka-
pitalgüterindustrie ausging, so war auf die Dauer Mehrabsatz an das Ausland
nur durch Preissenkung zu erwarten. Dieser hätte dann zur Ausnutzung der er-
höhten Kapazität geführt und die Folgen der Rationalisierung gemildert. Dadurch
aber, daß an Stelle der Preissenkung Lohnerhöhung trat, wurde die Kaufkraft
für Konsumgüter erhöht. Diese Lohnpolitik hätte nur im Rahmen ei'ner konse-
quenten Binnenmarktpolitik Sinn gehabt. Dann hätte aber die Rationalisierung
gerade umgekehrt bei den Verbrauchsgüterindustrien, bei der Binnenmarktproduk-
tion und beim Verteilungsapparat beginnen müssen. Nur dann wäre es gleich-
gültig gewesen, ob die Steigerung der Produktivität auf dem wirtschaftli'ch frucht-
bareren Wege der Preissenkung allen Konsumenten oder auf dem politisch dank-
bareren Wege der Lohnerhöhung primär der Arbeiterschaft zugänglich geworden
wäre. Doch selbst dann hätte die Steigerung der Löhne nicht über die Steigerung
der ArbeitsprodllktivitäL hinausgehen dürfen. Stellt man aber ProduktionS- und
Lohnvolumen einander gegenüber, so zeigt sich, daß die Lohnsteigerung beträchtlich
über die Vermehrung des Produktionsvolumens hinausgeht.

Steigerung gegen 1926 (---- 100)

Jahr

Lohnvolumen

Produktionsvolumen

1927

126

122

1928

136

127

1929

1^2

130

1930

ii9

111

i93i

97

97

Zieht man die Schlußfolgerungen, dann darf man weder der RationalisierungS- und
Exportpolitik, noch der Kaufkraft- und Binnenmarktpolitik allein den Vor-
wurf machen. Die Ursache der übermäßigen Störungen auf dem deutschen Arbeits-
markt ist vielmehr in der mangelnden Konsequenz der Gesamt-
politik zu suchen. Es zeigt sich eine völlige Planlosigkeit der Wirt-
s ch a f t S p 0 l i t i k, die Ziele kreuzen sich, die Wirkungen heben sich auf. Wäh-
rend die Arbeitgeber die Ratkonalisierung bei den Kapitalgüterindustrien begannen,
sich fast völlig auf den Export einstellten und die Finanzi'erung mit Auslandskre-
diten vornahmen, stellten die Arbeitnehmer die Lohnpolitik auf die Rationalisierung

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