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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 14-25 (1. Feburar - 27. Februar)
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Ist das Gesetz das öffentliche Gewissen?
Von Wilh. Em. Frhrn. v. Ketteler, Bischof von Mainz.
(Fortsetzung.)
Das Christenthum legt dem Menschen die Pflicht aus, auf
Gruud einer inner::, sittlichen Erkenntniß in gegebenen Fallen
jeder menschlichen Autorität, sowohl einzelnen Menschen, als
auch der Staatsgewalt zu widerstehen und lieber das Leben
hinzugeben, als Gehorsam zu leisten. Durch diesen Grundsatz
hat der göttliche Meister des Christenthums selbst seine Religion
verbreitet und der römischen Staatsgewalt, wie dem jüdischen
hohen Rathe Widerstand geleistet; durch diesen Grundsatz hat
das Christenthum seinen Siegeslauf durch die "-Welt gehalten
und Millionen Märtyrer, die wir als Freunde Gottes verehren,
haben für ihn ihr Blut dahingegeben. Der moderne Zeitgeist
versichert lins dagegen, daß das Alles nur eine strafbare Auf-
lehnung gegen das sogenannte öffentliche Gewissen, gegen das
Gesetz war. Das ist der Standpunkt, auf den der Unglaube
und der Abfall vom Christenthum uns hindrängt; das ist aber
auch der Standpunkt, von dem aus man mit Einen: Schritt
in den Abgrund jeder menschlichen Entwürdigung und Entsitt-
lichung geräth. Bloße Legalität oder innere Gewissenhaftigkeit
ist die große Frage zwischen der modernen Aufklärern und den:
Christenthum! Die Lehre von dem „öffentlichen Gewissen, deni >
das Privatgewissen nicht widersprechen darf", ist die Schule der
bloßen Legalität und damit die Schule der Gewissenlosigkeit;
Gewissenlosigkeit aber ist ans allen Stufen des menschlichen Da-
seins, vom Throne bis zum Bettler herab, die Quelle des tief-
sten menschlichen Verderbens. Die Legalität ohne Gewissen
nimmt in erschreckendem Maße zu und wir sehen überall diese
legalen Männer ohne Gewissen, die uns nur um so mehr mit
Abscheu erfüllen, je höher ihre Stellung ist und je mehr sie. den
Anspruch auf den Besitz wahrer Humanität erheben. Diese
legalen Männer ohne Gewissen sind als Staatsmänner wie als
Geldmänner die größten Feinde der Menschheit.
Wir können daher solche Phrasen, die man unserem deutschen
christlichen Volk ins Gesicht schleudert, nur mit Schmerz und
mit Abscheu zurückweisen; wir achten als Christen die Rechte
des Staates; aber mir achten und ehren als Christen noch mehr
die Rechte des Gewissens und glauben dadurch die Menschheit
zu ehren. Fern sei vor: uns die empörende Ansicht, daß eine
beliebige Kammermajorität ein Recht über unser Gewissen hätte.
Wenn es darauf aukümmt, uns bei den ernsten Fragen unseres
Gewissens Raths zu erholen, so werden wir uns lieber dem
Gewissen in tausend armen Bauernhütten des Badischen Landes
anvertrauen, als den: öffentlicher: Gewissen der Karlsruher
Kammermajorität. Niemals werden wir in dem modernen
Kammergötzen unser Gewissen selbst verehren.
Der Papst hat daher in seiner Encpclica mit Recht gesagt,
daß es ohne Religion d. h. ohne lebendigen Glauben an Gott
kein Gesetz und keine Gerechtigkeit mehr gebe. Wir sehen hier,
man geht noch weiter, es soll fortan auch kein Gewissen mehr
geben. Wenn eine ungläubige Kammermajorität decretirt, daß
die christlichen Eltern ihre Kinder Schulen übergeben sollen, die
von der kirchlichen Aufsicht gänzlich getrennt sind; wenn man
später noch weiter gehen würde und ihnen ungläubige Spötter,
vielleicht sittenlose Menschen zu Lehrern geben wollte, so darf
fortan kein Vater, keine Mutter mehr sagen: das ist gegen mein
Gewissen; eine solche Rede ist Empörung gegen das allgemeine
Gewißen. Ihr verblendete:: Eltern, die ihr so redet, ihr seid
strafwürdig: strafwürdig, weil ihr noch glaubt, das Recht auf
ein Gewissen zu haben, dessen Spruch ihr selbst in eurer eigenen
Seele wahrnehmet; strafwürdig, weil ihr glaubt, eigene Kinder
zu besitzen, die euch gehören. Das sind Ammenmährchen, die
euch das Christenthum vorgesungen hat; euer Gewissen ist in
Karlsruhe bei der Majorität; euere Kinder gehören nicht euch,
sie gehören der Majorität in Karlsruhe; ihr habt vergessen, daß

ihr unter dem Fortschritt und der Aufklärung lebt. In der
alten Zeit waren die gewissenlosen Menschen die Verbrecher; in
unserer Zeit sind es die, welche noch ein Gewissen haben. Ihr
dürft nichts mehr haben, als das Gesetz; ihr dürft keinen Gott
mehr haben; ihr dürft keinen Christus mehr haben; ihr dürft
keine katholische Kirche mehr haben; ihr dürft auch die zehn
Gebote nicht mehr haben; statt dessen habt ihr das Gesetz, das
euch die Kammermajorität gibt — das ist der Fortschritt, das
ist die Bedeutung des Ausspruches: das Gesetz ist das öffentliche
Gewissen.
Wir sind jetzt auch in der Lage, eine andere Aeußerung
des Herrn Staatsraths Lamey richtig zu verstehen, mit der er
uns bei einer früheren Kammerverhandlung überrascht hat. Er
hat damals keinen Anstand genommen, einen Theil der Katho-
liken die gegen die neuen Schuleinrichtungen aufgetreten sind,
„Gimpel" zu nennen. Manche werden vielleicht der Ansicht sein,
daß es schicklicher sei, solche im Laufe einer heftigen Discussion
ausgesprochenen, unpassenden Worte lediglich zu bedauern und
sie auch bei einen: Gegner nicht weiter zu urgiren. Wir können
wenigstens im vorliegenden Falle nicht dieser Meinung sein.
(Fortsetzung folgt.)

Gaden.
X Heidelberg, 21 Febr. Der Raum unseres Blattes ist
so stark durch die zwangsstaatliche Auchehe, durch katholische
Vereinsangelegenheiten u. s. w. in Anspruch genommen, daß
wir fast vergessen hätten, des wieder zusammengetretenen Land-
tages Erwähnung zu thun. Nun, das wäre am Ende auch kein
Unglück gewesen; denn die Leute unsrer Partei wissen ja zum
Voraus, was sie von der Kammer zu erwarten haben. Das
Wichtigste waren die Vorlagen der Regierung, und unter diesen
müssen vor allem hervorgehoben werden der Gesetzentwurf über
die Presse, ein solcher über das Vereinswesen und endlich über
Abänderung wesentlicher Bestimmungen der Gemeindeordnung.
Wir glauben, man wird alle Ursache haben, mit dem neuen
Vereinsgesetze zufrieden zu sein; wir Katholiken insbesondere
werden dadurch von mancherlei kleinlichen Polizeiplackereien uns
befreit sehen. Dagegen ist von den: neuen Preßgesetzentwurf
weniger Rühmenswerthes zu sagen. Insbesondere sollen dadurch
der Presse neue Daumschrauben angelegt werden, daß man nicht
mehr blos den Redakteur für verantwortlich erklärt, sondern
auch den Verleger und selbst den Drucker. Der Drucker hat doch
nur die mechanische Ausführung und Verbreitung des Geschrie-
benen zu besorgen, und ist selten in der Lage, das Strafbare
von dem Nichtstrafbaren zu unterscheiden. Auch kann man ihm
bei der Ueberhäufung seiner Geschäfte unmöglich zumuthen, daß
er auch noch die Manuscripte durchlese und über dieselben mit
feinen: Advokaten conferire, daß er also auch noch die Redak-
tionsgeschäfte übernimmt und somit den Redakteur überflüssig
macht. Der ganze Passus ist eben offenbar nur wieder gegen
die Opposition d. h. im vorliegenden Falle gegen die „Schwarzen"
gerichtet, weil diese lieber ihre Redakteure, die mehr Zeit dazu
haben, als ihre Parteihäupter einsperren lassen, die immer auf
dem Plane sein müssen. Ist nun der Drucker verantwortlich
und faßbar, so wird man sich nicht mehr an die Herren Flaschon,
Lienhard u. A. halten, sondern an den Drucker, und diesen,
der im Geschäfte unentbehrlich ist, durch Androhung des Ge-
fängnisses zur Angabe des betreffenden Correspondenten zu nöthi-
gen suchen. Man hätte sich diesen Umweg vollständig ersparen
können, wenn man in Karlsruhe einfach das napoleoTsche Preß-
reglement eingeführt, und also die Correspondenten gezwungen
hätte, ihre Namen unter die Artikel zu setzen. Es wäre das
offenbar einfacher und ehrlicher gewesen, wenn auch der Schein
des Liberalismus, den man ja allein aufrecht zu halten strebt,
dadurch Noth gelitten hätte. Uebrigens ist keine Mine so schlau
gelegt, daß man ihr nicht eine Gegenmine entgegenstellen könnte,
 
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