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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 103-115 (1. September - 29. September)
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Baden.
* Heidelberg, 4. Sept. Aus einer Reihe von Blättern
ersehen wir, daß das eben erst besiegte Oesterreich, das frei-
lich, wie wir zuversichtlich meinen, seinen Frieden viel zu
frühe gemacht hat, plötzlich von allen Seiten wie eine Braut
umworben und um seine engern Freundschaft gebeten wird. Wie
wir langst vorausfagten, sucht vor allem Frankreich sich Oe-
sterreich mit starken Schritten Zu nähern, seitdem das letzte
Hinderuiß der Allianz mit der Abtretung Venetiens beseitigt ist,
ja, Napoleon geht sogar noch weiter: er sucht Oesterreich mit
Italien nicht nur völlig auszusöhnen, sondern sogar beide Reiche
in eine feste Allianz zu bringen. Es ist überhaupt die Zeit
der neuen Bündnisse jetzt herangekommen, und ehe diese fest ab-
geschlossen sind, werden die Waffen von Neuem gezückt werden
und die Welt darf so lange sich der trügerischen Hoffnung eines
dauernden Friedens hingeben. Aber auch nur so lange —
und diese Frist wird kurz geuug abgemessen sein. In Berlin
sieht man die neuen Karten, die Napoleon mischt, mit steigen-
den: Mißtrauen an und sucht sich daher gleichfalls Oesterreich
mit Zuvorkommenheit zu nähern. Die Zahl derjenigen aber
— und unter diese gehören sehr ehrenwerche Männer der Kreuz-
zeilungspariei von altem Schrot und Korn, wie der biedere
Gerlach — die jetzt noch an ein Bündniß zwischen Oester-
reich und Preußen zu denken wagen, ist sehr gering. Für Preu-
ßen könnte dieses Bündniß freilich außerordentlich nützlich und
vortheilhaft sein, es würde ihm geradezu alle bisherigen Errun-
genschaften für ewige Zeiten sichern, aber was sollte Oesterreich
für Gewinn daraus zieheu, nachdem ihm die Pforten Deutsch-
lands für immer verriegelt sind? Aber vor allem auch die

! Ehre verbietet Oesterreich, jemals mit Preußen freundlichen
! Händedruck zu wechseln; vielmehr wird es alle seine Organisa-
> tionen auf das Ziel hinleuken, das ihm Revanche für König-
- grätz eines Tages in Aussicht stellt. Oesterreich ist keine deutsche
! Macht mehr und hat also auch keine Verbindlichkeiten nach die-
ser Seite, es hat völlig freie Hand zu seinen Bündnissen, und
so will es uns denn scheinen, als ob Napoleon und Oesterreich
sich bald in engem Bündniß begegnen werden. Man fürchtet
nichts mehr in Berlin als ein derartiges Arrangement, und sieht
sich deßhalb vorsichtig gleichfalls nach Bündnissen um. England
vermag keine Hülfe mehr zu bieten, es steht den continentalen
Händeln bereits fast so ferne wie eine außereuropäische Macht
— seine großen Staatsmänner sind ausgestorben, seine Militär-
! m.cht kaum die eines Mittelstaates, seine Flotte sogar vielfach
mangelhaft. Dagegen hat sich Rußland wieder von den Schlä-
gen des orientalischen Krieges und des polnischen Aufstandes er-
holt und an dieses wird Preußen sich näher und fester anschlie-
ßen. Die Mission des Generals Manteuffel nach Peters-
burg hatte nicht blos den Zweck, den Kaiser seines darmstädti-
schen Verwandten wegen zu beruhigen, sie hatte offenbar auch
die Aufgabe, den Boden für ein russisch-preußisches Bündniß zu
ebnen. So wie die Dinge jetzt sind, liegt daher die Wahrschein-
> lichkeit sehr nahe, daß wir bei einem neuen feindlichen Zusam-
menstoß Rußland und Preußen mit seinen deutschen Verbünde-
I t?n auf der einen, Frankreich und Oesterreich (vielleicht auch
Italien) auf der andern Seite sehen werden. Das Ausland
wird io auf beiden Seiten hereingezogen, und wo die süddeut-
schen Staaten sich hinweuden werden, laß; sich erst im Beginne
des Kampfes bestimmen. Wir sehen hieraus, daß die Dinge

Ein Besuch auf den Kriegsschauplätzen am Main.

(Pfälzer Zeitung.)

(Fortsetzung.)
Ich benutzte den Nachmittag, mir das Städtchen etwas näher anzusehen ;
neben der Brücke nach Etwashausen, Kitzingen gegenüber, lustwandelten in
einer Art Pferch circa 150 Ochsen in freiester Ungebundenheit, wohlgenährt,
rund und drall, sie machten ihrer wonniglichen Stimmung Luft in homeri-
schem Gebrüll und ich habe alle Diejenigen beneidet, die auf solche Lüm-
mel- und Beefsteak-Lieferanten ein Recht haben.
Nachts um halb zwölf ging der Zug von Kitzingen nach Würzburg
ab. Ein junger Kaufmann aus Niederbayern, der in Würzburg in Kondi-
tion stand, war mein Reisegefährte, er hatte drei Brüder bei der bayeri-
schen Armee, einer derselben ist in der unglücklichen Affaire bei Seybothen-
reuth schwer verwundet worden, ihn, den vierten Bruder, hatten nach dem
Treffen bei Hammelburg bayerische Cuirassiere in einem Dorf hinter Würz-
burg als Spion verhaftet, seine Kleider und Stiefelsohlen visitirt und ihn
schließlich, an ein Pferd gebunden, auf die Veste Marienberg escortirt. Alle
Stadien der Todesangst mußte der arme „Spion" mit gut bayerischem
Dialekt durchmachen, bis er durch die Dazwischenkunft eines angesehenen
Herrn aus Würzburg gerettet wurde. — Ein Mann wie ein Professor
saß mit uns im Coups, hörte auch Vieles von dem, was mir mein Gefährte
noch erzählte, Episoden aus dem Hauptquartier, Stücklein aus der Krieg-
führung u. f. w. und sagte von Zeit zu Zeit nur das Wörtchen: cliLeile.
Ich weiß nicht, wollte er sagen — oatzwam non scripsrs oder sonst was.
Andern Tags in der Frühe ging ich noch einmal in die Lazarethe, um
mich bei unfern Pfälzern zu verabschieden. Emer war seit meinem letzten
Besuch zum zweiten Mal amputirt worden und lag nun gar bleich und
geknickt in seinen Kissen; er gab jedoch noch auf Alles Antwort, und der
Arzt meinte, daß er am Leben erhalten werde. Ich habe unter den Pfäl-
zern noch einige Amputirte getroffen, einige Andere werden wohl dem gleichen
Schicksal nicht entgehen können, und da wäre es wohl am Platze, wenn
alle Hilfscomites in der Pfalz und andere Leute die Geld haben von ihren
Mitteln etwas zurücklegen wollten zu einem Fonds für Verstümmelte. Es
ist doch gar zu traurig, wenn Einem, der seine gesunden Glieder für die
Sache des Vaterlands geopfert hat, keine Aussicht bleibt, als ein gewöhn-
licher Bettler zu werden mit dem Hut in der Hand, oder ein promovirter
mit Meerschweinchen. Wenn Jeder etwas hergibt, dann haben wir bald
ein hübsches Capital beisammen, dessen Zinsen, unter tüchtige Verwaltung
gestellt, die armen Invaliden vor Noth und Mangel sicher stellen. Mögen
daher die richtigen Männer die Sache in die Hand nehmen!
Zwei Herren vom Würzburger Verpslegscomite — dabei ein Pfälzer
— luden mich ein, mit ihnen die Rundfahrt auf die Gefechtsplätze um
Würzburg, Roßbrunn, Uettingen u. s. w. zu machen, ein Anerbieten, das
ich um so lieber annahm, als ich dieselben Orte auch zu besuchen beabsichtigt

hatte. Unser Wagen war bald mit Wein in Flaschen, Cigarren, Binden,
Brod und Wecken ausgerüstet, und rasch fuhren wir über die Mainbrücke
zum Zeller Thor hinaus. Wir erreichten bald die Hettstadter Höfe und
Roßbrunn, wo jedoch keine Verwundete mehr lagen. Die Gemarkungen
dieser Dörfer, wie auch von Uettingen und Helmstadt, sehen natürlich noch
schlimmer aus, alls alle, die ich bisher gesehen, und die Bauersleute suchen
gar betrübt die wenigen Aehren zusammen, die ihnen das Kriegsvolk noch
übrig gelassen. Fast in allen Getreidefeldern, die hier hauptsächlich von
Cavallerie durchzogen wurden, sind stellenweise grüne Plätzchen anzutreffen,
sogar hie und da im Koth der Fahrstraße. Es sind dies neu aufgesproßte
Haferkörner, die ein Reitersmann beim Füttern unfreiwillig in den vom
Regen erweichten Boden gesät hat. Wir kamen bald nach Uettingen, wo
ein preußisches Feldlazarett) war, in dem noch ungefähr 100 Mann verpflegt
wurden. Auf dem Felde standen noch einige preußische Zelte mit einem
Wachposten dabei; es war der Verbandplatz, der während des Treffens
hier etablirt werden war. Um den Kirchhof sind mehrere größere Grab-
hügel aufgeworfen, zahlreiche Preußen, die auf dem Kirchhof kein Plätzchen
mehr fanden, schlafen hier den Schlaf des Friedens. Die Herren bei mir
notirten sich die Bedürfnisse, die das Lazareth noch hatte, um sie von
Würburg aus hieher zu senden, und wir fuhren weiter nach Helmstadt.
Der Weg führt ziemlich steil eine Anhöhe hinauf, rechts und links schöne
Waldungen, die Felder sind hier mitunter ganz verschont geblieben. In
einem Fruchtfeld war ein preußischer Soldat mit einer altern Bauersfrau
und einem hübschen blühenden Mädchen emsig beschäftigt mit Garbenbinden;
obwohl die Tochter weitaus nerviger und rüstiger war, als ihre Mutter,
half der Soldat doch immer dem Mädchen beim Strohseildrehen; ob er
verwundet war, weiß ich nicht, wahrscheinlich hatte er einen Streifschuß
im Herzen aus den Mädchenaugen, die ja gefährlicher find, als die Zünd-
nadeln.
In Helmstadt lagen noch 26 verwundete Preußen, darunter in einem
Zimmer des Wirthshauses mit drei andern auch ein Rheinpfälzer aus der
Gegend von Kirchheim mit einem Schuß in die Brust. Schwestern verpfleg-
ten sie recht sorgfältig und auch Aerzte thaten regelmäßig ihren Dienst.
Bei unserer Ankunft ging ein preußischer Feldprediger im Talar vor der
Thüre des Wirthshauses auf und ab; die Leiche eines Soldaten in doppel-
tem Sarge wurde herausgebracht, die Mutter stand weinend daneben, bis
der Prediger seine etwas überschwängliche Rede beendigt hatte. Alsdann
wurde der Sarg von einigen Soldaten auf einen bereit stehenden Wagen
geladen und an die Bahn zum Transport nach Regensburg verbracht, wo
der Dahingeschiedene ruhen sollte in heimischer Erde. Wir gaben einen
Theil unseres frischen Gebäcks ab, sonstige Bedürfnisse hatte das Lazareth
nicht, nur fragte uns beim Fortgehen ein schlau blickender Unteroffizier
aus Pommern, der hier Oberkrankenwärter war: „Haben Sie vielleicht sau
cis „Golonje?" An dieses Lazarethbedürfniß hatten wir natürlich bei unserer
Abfahrt aus Würzburg nicht gedacht und so mußten wir den armen Riech-
hungerigen ungetröstet zurücklassen. (Schluß folgt.)
 
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