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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 116-128 (2. Oktober - 30. Oktober)
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Donnerstag und Samstag.

für Stadt




Preis: Vierteljahr!. 40 kr. ohne Träger-
lohn u. Postaufschlag. Jns.-Geb. 2 kr. d.Z.

»HL 116.

Dienstag den 2. October

1866.

/X Die Cholera in Walldürn.
Es inkeressirt Ihre Leser ohne Zweifel, einige Notizen aus
diesem von der Choleraseuche so schwer heimgesuchten Städtchen
zu erhalten, welche ein daselbst Fremder bei einem Besuche dort ;
gesammelt hat, einmal weil dem „Pfälzer Boten" fast aus- !
schließlich nur über die Zahl der Erkrankungen und Sterbefälle :
berichtet wurde, von der Thätigkeit einzelner Männer aber noch kaum >
zu lesen war — und weil ein Artikel im „Badischen Beobach- >
ter" die Bermuthnng könnte auskommen lassen, als ob es hier !
kopflos zuginge, weil der Herr Oberamtmann seit einiger Zeit
in Urlaub abwesend ist.
Ich kann Sie versichern, daß wo Männer, wie die Herren !
Pfarrvermeser Diez, Bezirksamt Neeß, Amtsrichter Kugler, Ge-
richtsnotar Hörst, die Assistenzärzte Schellenberger und Döpfner,
die beiden Herren Kiefer u. A. die Leitung der Maßregeln in der
Hand haben, welche in umfassender Weise der Seuche entgegen-
gesetzt wurden, eine höchst ersprießliche Thätigkeit zu bemerken
mar, aber keine Kopf- und Rathlosigkeit, wenn auch der Herr
Oberamtmanu fehlte.
Urtheilen Sie selbst, wenn ich Nachstehendes berichte.
Mehrmals wurden in der Kirche Warnungen, Aufforde-
rungen zur Vorsicht den Anwesenden ertheilt und namentlich
die Einwohner ermahnt, frühzeitg. ärztliche Hülfe zu suchen und
damit ja Nichts versäumt werde, wurde sogar verkündet, daß
auch für diejenigen, welche nicht gerade ganz arm sind, aber
vielleicht in leichten Fällen der Erkrankung die Kurkosten scheuen
würden, das Comits, von dessen Bildung Ihr Blatt wohl
schon Notiz genommen hat, diese Kosten übernehme.
Diesem Comito war während der Epidemie die Pfarrküche
zur Verfügung gestellt; hier wurden für Dürftige und Kranke
die passenden und nöihigen Speisen bereitet und Getränke ver-
abreicht.
Dasselbe Eomitö vertheilte am 20. Septbr. gegen 1000 st.
und in diestr Woche 46 Centner Weißmehl,, etwa 4 Ctr. Kaffee
und elnnso viel Schmalz. Es schaffte Leibbinden an und theilte
sie ans.
Seit dieser allgemeinen Unterstützung werden jedoch bis
auf den heutigen Tug alle für Kranke nöthigen Speisen und
Geuäuke in der Pfarrkirche abgegeben, namentlich Wein,
Arrue, Rum, Malaga, Kaffee, Schleimsuppe u. f. w. nach An-
weisung der Aerzie nno Krankenschwestern. Der erwähnte Wein
ist, wie ich erfuhr nno Sie interessiren wird, jener Rothwein,
Erste, zweite und dritte Liebe.
Eine Erzählung von Wilhelm Fischer.
(Köln. Ztg.)
Bei öffentlichen Versteigerungen heißt es: Zum ersten, zweiten und
— Niemand bester? — zum dritten Maie! Der Hammer fällt, und der
Kauf ist geschloffen und besiegelt. Drei ist eine mystische Zahl. Und wenn
auch „Erste und einzige Liebe" romantischer geklungen hätte, erschrick nicht,
theure und treue Leserin, über meinen wohlgewählten Titel, der sogar dem
alten Jsegrimm Arthur Schoppenhauer gefallen würde, da er „bezeichnend,
concis, lakonisch, prägnant und ungefähr ein Monogramnr des Inhalts ist" ;
wirf meine unschuldige Erzählung nicht fort; glaube nicht, ich wolle über
Hohes und Heiliges spotten und das alte, boshafte Lied von der Weiber-
treue anstimmen; lies vorurtheilsfrei und lache dazu, was sogar Dein
schönes Gesicht noch verschönern wird.
Als ich mich noch, auf dem Gymnasto zu Elberfeld der Humaniora
befliß, hatte ich mit einem liebenswürdigen Mitschüler eine so innige Freund-
schaft geschloffen, wie sie nur in den ersten, schwärmerischen Jünglingsjahren
entstehen kann. Wir saßen in der Classe zusammen, wir arbeiteten zusam-
men, wir übertrugen zusammen Böranger und die Anakreonten in unser
geliebtes „Deutsch", ja, wir machten auch eigene Verse zusammen, und
durchaus nicht nur schlechte, wie folgendes Epigramm meines Freundes,
die süße Frucht einer bitteren Stunde, zeigen mag:
Ein junger Magen
Kann viel vertragen:
. Ein junges Herz
Viel Leid und Schmerz.
Er wird hoffentlich diese nachträgliche Veröffentlichung nicht als ein
Plagiat ansehen: war uns doch zu jener Zeit Alles gemein! .44 vocein

welchen das Heidelberger Comits der großdeutsch-katholischen
Partei nebst andern Lebensmitteln fo rasch hierher gesendet hat
auf den Ruf des unermüdlich thätigen Herrn Pfarrverwesers
Diez. Die Herren sind hier voll des Lobes und der Dankbar-
keit über diese schnelle Unterstützung von Heidelberg, welche die
erste namhafte Hülfe gewährte.
Auch wurde das in der Cholerabehandlung so wohlthätige
Eis in reichlicher Menge herbeigefchafft und bis auf den heu-
tigen Tag kann solches bei ärztlicher Verordnung theils im
Pfarrhaus, theils im Rathhaus in Empfang genommen werden.
Um weiter von den umfassenden Maßregeln zu sprechen,
welche hier getroffen wurden, berichte ich Ihnen ferner, daß 2
hiesige Männer von Herrn Amtsverwalter Singer besonders
verpflichtet wurden, um fortwährend bis auf den heutigen Tag
von Haus zu Haus vermittelst Eisenvitriols die Abtritte u. s. w.
zu desinfiziren und, wenn sie fertig waren, wieder am ersten
. Haus anzufangen, daß die Wäsche der Kranken in Chlorkalk-
> wasser eingeweicht wird, bevor man sie wäscht, daß die Entlee-
rungen ebenfalls durch Eisenvitriol unschädlich gemacht werden.
Hören Sie ferner, daß quartierweise aus allen Familien
' eine erwachsene Person, gegen Bescheinigung der Einladung,
auf das Rathhaus vorgeladen wurde, um aus dem Munde des
Herrn Assistenzarztes Döpfner, welcher schon in der ersten Hülste
Septembers zur ärztlichen Aushülfe hierher kam, die Be-
lehrungen über Vorbeugung und Schutz gegen die Krankheit
und über das diätetische Verhalten entgegen zu nehmen.
Auf dem Kirchhof wurde ein LeichenhauK eingerichtet, um
nach der ersten Leichenschau alsbald die Leichen aus den Wohn-
häusern entfernen zu können.
Die Thätigkeit der Aerzte in diesen 5 Wochen muß man
eine fast unglaubliche nennen, wenn man erfährt, daß z. B.,
als Schellenberger durch übermäßige Anstrengung krank war,
Bezirksarzt Reeß fast ganz allein die Masse der Kranken be-
sorgte, obwohl er selbst ebenfalls — glücklicherweise nur kurze
Zeit — krank war.
Ferner hörte ich hier bekannt machen, daß zu weiterer ärzt-
licher Hülfeleistung der Bezirksassistenzarzt von Heidelberg, vr.
Fischer, was Sie ohne Zweifel werden erfahren haben, in amt-
licher Sendung hier angekommen fei.
Es versteht sich endlich eigentlich von selbst, daß jene Or-
densschwestern, welche fast allüberall auf dem Erdkreise, wo
hülfsbedürftige Kranke sind, alsbald erscheinen, auch hier
Magem, wir vergaßen bei aller Romantik auch des Leibes Nothdurft nicht:
wir spazierten zusammen, wir leerten verstohlen selbander ein Glas Bier
im Islands und bereicherten verschiedene Conditoren mit unserem Taschen-
gelde — aber immer waren wir beisammen, nannten uns auch stets Orestes
und Pylades, wärend rohe Mitschüler uns die Ekelnamen Affe und Kameel
gegeben hatten: der Affe sollte mein Freund sein, weil er sich immer so
zierlich kleidete; warum ich aber Kameel geschimpft wurde, ist mir bis auf
den heutigen Tag nicht klar, da ich doch erst auf der Universität dazu ge-
worden bin. — Nur zusammen wohnen konnten wir nicht, da unsere Väter,
beide Auswärtige, uns verschiedentlich eingemiethet hatten: ich hauste auf
einem bescheidenen Dachstübchen, und mein reicher Freund restdirte in zwei
prächtigen Zimmern im ersten Stocke eines neuen Hauses in der schönpen
Straße. Aber wenn wir also nicht ganz zusammen leben konnten, fo woll-
ten wir doch einander wenigstens nicht überleben, .sondern im Nothfalle
mit einander sterben: das harten wir uns in schauerlicher Mitternachtstunde
auf.dem Kiesberge am alten Hochgericht gelobt, eine mühsam hinäufgeschleppte
Flasche Rheinwein dabei geleert und dann zertrümmert und eine Klovstockische
Ode dazu declamirt.
Geheimnisse hatten wir natürlich nicht vor einander, selbst in dem
zarten Pnnrte der Liebe nicht: ich hatte ihm gestanden, daß ich schon mit
vierzehn Jahren beinahe einmal ein Mädchen geküßt, und er hinwiederum
mich zum Vertrauen der flammenden Leidenschaft gemacht, die er für die
schöne Adeline Banner, die Tochter eines reichen Seidenfabrikanten, hegte.
In ihres Herrn Vaters Hause, hatte er durch seines Herrn Vaters Empfeh-
lung schon seit langer Zeit freien Eintritt.
Auf meine bescheidene Einwendung: Aber die junge Dame ist doch
schon einundzwanzig und du erst sechszehn Jahrs — erwiderte er stürmisch:
Nächstens siebenzehn — und was thun die Jahre zur Liebe? Stehen
wir nicht hoch über den dummen Jungen, die mit uns auf denselben Bänken
sitzen? Sind wir nicht an Geist und Empfindung schon Männer?
 
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