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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 26-39 (1.März - 31. März)
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MZ7.

Samstag, den 3. März

1866.

Ist das Gesetz das öffentliche Gewissen?
Von Will). Eni. Frhrn. v. Ketteler, Bischof von Mainz.
(Schluß.)
Das ist die Staatslehre der Fortschrittspartei. Wenn sie
vom Volk spricht, von dem Willen des Volkes, von der Achtung,
die dem Volkswillen gebührt, so versteht sie nnter dem Volke
nicht die Masse des christlichen Volkes; dieses wird vielmehr
mit der vollkommensten Verachtung behandelt; sondern sie ver-
steht darunter nur das Häuschen ihrer Gesinnungsgenossen.
Volk ist ihr nur das gottlose Volk, das in rohen Materialis-
mus versunkene Volk, das über Christenthum und Religion
spottende und höhnende Volk. Wenn sie von Bildung und Auf-
klärung spricht, so denkt sie nicht an eine christliche Bildung,
an eine Bildung in wahrer Gottesfurcht und Gottesliebe, an
eine Bildung, die zu allen christlichen Tugenden führt und dem
Volke Frieden, Glück und Eintracht bringt; sondern an eine
Bildung und Erziehung, an eine Abrichtung der Jugend für
die Parteiansichten und für die Gottlosigkeit, der die Partei
huldigt. Gemldet und aufgeklärt in diesem Systeme ist der
Religionsspötter, ein Gimpel dagegen, wer noch an Gott und
Christus glaubt. Diese Partei, obwohl sie an Zahl verschwin-
dend klein ist im Vergleich zu der Masse des christlichen Volkes,
hat doch auf das öffentliche Leben, auf die Tagespresse und auf !
die Staatsleitung einen unermeßlichen Einfluß gewonnen. DaS
ist unsere Lage, das die Quelle unserer Kämpfe. Die Frage
für die Zukunft ist, ob es dieser Partei gelingen wird, den
Staat, die Staatsgewalt, die Staatsregierung mehr und mehr
an sich zu reißen und sie ihren Zwecken, ihren Doetrinen,
ihren Schulmeinungen, ihrer Gottlosigkeit, ihren Privatinter-
essen dienstbar zu machen.
Je nachdem dies eintreten wird oder nicht, werden wir
einer Zeit des Friedens oder der schwersten, inneren und öffent-
lichen Kämpfe entgegengehen. Man erfülle drei Forderungen,
Forderungen der Gerechtigkeit und Billigkeit, Forderungen, die
Jeder anerkennen muß, der nicht ein Parteimann ist, und wir
werden mit dem modernen Staat nicht in Conflikt kommen;
wir werden ihn selbst da gewähren lassen, wo wir seine Sen-
tenzen nicht theilen, und wir werden ihn gerne dort unter-
stützen, wo wir ihm unsere Hilfe bieten können.
Die erste Forderung ist: man gebe uns Christen, man
gebe dem christlichen Volke, das doch die Majorität aller Staats-
angehörigen bildet, Männer zu Ministern, die, sie mögen selbst
denken, was sie wollen, sie mögen persönlich die Lehrsätze des
Christeuthums anerkennen oder verwerfen, Achtung vor dem
christlichen Gewissen haben und deßhalb alle Fragen, die mit
unserem Gewissen Zusammenhängen, mit jener Rücksicht be-
hancheln, die sie verdienen. Kein Gebiet verdient mehr zarte
Rückficht, als das des Gewissens, und der Minister eines Lan-
des muß auch dem Gewissen Andersgläubiger mit höchster Acht-
ung entgegentretcn. Es ist überaus unbillig und unrecht, Män-
ner an die Spitze der Staatsregierung zu stellen, die aller
christlichen ^Bildung und allem christlichen Leben so fremd geworden
sind, daß fie selbst die Achtung vor dem christlichen Gewissen
verloren haben. Die zweite Forderung lautet: der Staat
beschränke sich auf das ihm, seiner Natur und der Geschichte
nach, gebührende Gebiet; er schütze das Recht Anderer und greise
nicht willkürlich ein in deren Rechtsgebiet. Ueber den Umfang
der Lllaatsgewalt haben wir freilich kein bestimmtes Vernunft-
gesetz, sodaß alle Menschen und alle Völker einverstanden sein
müßten; es kann darüber Meinungsverschiedenheit bestehen.
Um so unerträglicher ift es aber auch, den Umfang der Staats-
gewalt nach jeder auftauchenden Schul- und Parteimeinung im
ewigen Wechsel menschlicher Ansichten feststellen zu wollen. Jedes
VolkMebt in seiner Geschichte und die geschichtliche Entwicklung
^st ^^sükwalt UnffgiMs "icht unberücksichtigt
bleiben, wenn nicht alle Rechtsverhältnisse erschüttert werden sollen.

Es ist daher ein unseliges Unternehmen, lediglich in Folge einiger
Schul- und Parteimeinungen ein ganzes großes Gebiet, das so
tief in das Leben des Volkes eingreift, wie z. B. das Schul-
wesen, plötzlich als eine reine Staatsdomäne in Anspruch zu
nehmen und darnach zu behandeln, während nach deutschem
Recht und deutscher Gewohnheit die Schule das gemeinschaftliche
Gebiet der Kirche, des Staates und der Familie ift. Die dritte
Forderung endlich, die wir erheben müssen, ist, daß die Staats-
regierung die Religion achte, mit Wohlwollen die Kirche behandle
und sie in ihrem Leben und ihrem Wirken unterstütze, statt sie
überall zu bekämpfen und zu befeinden und zu beschädigen.
Die christliche Kirche hat jetzt eine feindselige Partei sich gegen-
über, die in ihrer Verblendung das Wohl der Menschheit zu
fördern glaubt, wenn sie Alles mit Mißgunst betrachtet, was
die Kirche thut, Alles entstellt und verdreht, was von ihr aus-
geht, sich über Alles freut, was sie beschädigt und überall selbst
dazu die Hand bietet. Das ist der antichristliche Geist, der
durch die Welt geht. Derselbe 'hat aber wahrlich mit dem
wahren Staatswohl nichts zu thun und es ist überaus beklagens-
werth, wenn dieser antireligiöse und antichristliche Geist auf
die Staatsregierung und sogar aus die Staatsgesetzgebung mehr
und mehr Einfluß gewinnt. Wir können einen Staat ertragen,
der keiner Confession als solcher dient; wir wollen aber keinen
Staat, der der Gottlosigkeit als Werkzeug dient. Mögen die
Diener des Staates persönlich einer religiösen Ueberzeugung
huldigen, welcher sie wollen; wir haben das Recht zu fordern,
daß sie die Religion des christlichen Volkes ehren und achten
und das Gedeihen unseres religiösen Lebens mit Wohlgefallen
betrachten. Wenn Minister und Beamte erst dann glauben,
gute Staatsdiener zu sein, wenn sie, soviel an ihnen liegt,
allen religiösen Interessen entgegentreten, dann wird von ihnen
nicht mehr das wahre Interesse des Staates, sondern lediglich
das Interesse der Partei der Gottlosen gepflegt.
Man erfülle diese drei Begingungen; man achte das christ-
liche Gewissen des Volkes; man beschränke die Staatsgewalt
auf ihr eigenthümliches Gebiet man achte überhaubt die Reli-
gion; man verzichte darauf, durch den Staat und die Staats-
gewalt Propaganda zu machen für die' Gottlosigkeit: und alle
diese innern Kämpfe, die das Wohl des Staates, wie das Wohl
des Volkes io tief beschädigen, haben ihr Ende.
**) Das Heidelberger Protest. Kirchen blatt über
die Bruchsaler Katholikenversammlung.
Das bekannte Organ der neuen Badischen Aera und des
im Sturmschritt auf die Parlamentskirche losgehenden Prote-
stantenvereins bringt in seiner Nr. 9 nach den Referaten des
Bad. Beobachters und des Psälzerboten einen Bericht über die
Bruchsaler Katholikenversammlung. Schade, daß demselben der
Kopf fehlt. Die Schilderung hätte nämlich außerordentlich an
Klarheit gewonnen, wenn es dem Blatt gefallen hätte, auch den
Beweggrund der Versammlung anzugeben und als Einleitung
seine eigenen und des Protestantenvereins vorhergegangenen
Wühlereien für die Einführung der obligatorischen Civilehe etwas
eingehend zu beschreiben: wie nämlich diese, was ja der Protestan-
tenverein wohl weiß, von der kath. Kirche gar nicht als Ehe aner-
kannt und'daher den Katholiken durch Glauben und Gewissen
verboten ist; wie aber dessenungeachtet der Protestantenverein
für deren zwangsweise Einführung in Casinos zu Heidelberg,
Mannheim und Pforzheim gewühlt hat und in noch andern in
Aussicht gestellten Versammlungen wühlen wolle, und mie auch
es selbst, das Heidelb. pr. W.-Blatt, sich eifrigst bei dieser edeln
Agitation betheiligte und die obligatorische Civilehe als ein
Bedürfniß des Volkes und als ein Postulat ves Staatswohls
und der Staatswürde darstellte; wenn es, sagen wir, dem Blatt
gefallen hätte, diese verehrungswürdigen Wühlereien und Auf-
wiegelungen gegen die Rechte und den Gewissensfrieden ihrer
 
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