Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

DOI Kapitel:
Nr. 26-39 (1.März - 31. März)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.43883#0127

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
kD-s Böte
für Stadt und Land.
ZI, Dienstag, den 13. März 1866.

Jnterpellationsanzeige
Sr. Durchlaucht des Fürsten non Löwenstein in der Sitzung
der i. Kammer vom lO. Mär).
Der Unterzeichnete hat die Ehre, der hohen Kammer anzu-
zeigen, daß er an das Staatsministerium bezw. an dessen Prä-
sidenten folgende Anfrage zu stellen gedenkt:
Der Herr Staatsrath Lamey hat in der Sitzung der 1.
Kammer vom 9. Dezember v. I. sich dahin ausgesprochen:
„Das wahre Gewissen des Landes ist das Gesetz; das ist
das öffentliche Gewissen re.; wer daneben und darüber
hinaus ein Privatgewissen besitzen will, muß eben zahlen"
und hat diesen Satz nicht nur als die Grundlage des ministe-
riellen Verfahrens in Schulstrafsachen, sondern auch als allge- ;
mein giltigen Staatsgrundsatz aufgestellt.
Bekennt sich das Staatsministerium in seiner Gesammtheit ;
zu diesem Grundsatz?

Karlsruhe, 10. März. Beide Häuser des Landtages hielten heute '
Sitzung. Die 4. Sitzung der 1. Kammer sand statt unter dem Präsidium
S. G. H. des Prinzen Wilhelm; die zweite Kammer hatte ihre 14.
Sitzung unter Vorsitz des Präsidenten Hildebrand.
In der 1. Kammer waren als Regierungsvertreter anwesend: Staats-
rath Lamey, Staatsminister Frhr. von Edels heim, Staatsrath Mat Hy;
in der 2. Kammer: Staatsminister Dr. Sta bel, Geh. Rath Junghanns.
Wir sind sür heute nicht im Stande, auch nur annähernd die Leser
von Dem zu unterrichten, was in der hohen ersten Kammer vor sich ge-
gangen. Die Wichtigkeit ist eine so große, daß, selbst wenn die Zeit auch
dazu geboten sein sollte, wie es nicht der Fall ist, erst noch mehr ruhige
Sammlung dazu gehören würde, mit einiger Verlässigkeit zu referiren. Wir
haben daher Geduld bis zur nächsten Nummer in Anspruch zu nehmen.
So viel nur in Kürze:
Freiherr von And law ist in Jntervellationssorm gegen den. Präsi-
denten des großh. Ministeriums des Innern, Herrn Staatsrath Lamey,
mit Anklagen hervorgetreten wegen Rechtsverletzungen beim Vollzüge des
Gesetzes über die Schulaufsicht.
Ferner hat Fürst von Löwenstein eine Interpellation angekündigt,
dahin lautend: ob das großh. Staatsministerium den von dem Hrn. Präsi-
denten des Innern Staatsrath Lamey in dem hohen Hause am 9. Dez.
v. Js. ausgesprochenen Grundsatz: „das Gesetz sei das öffentliche Gewissen,
und wer darüber hinaus ein Privatgewissen haben wolle, müsse eben be-
zahlen" theile? ' (Bad. Beob.)

Eine Betrachtung in der Fastenzeit.
„Alles schon dagewesen in der Welt!" findet auch auf die
in den Staaten herrschenden Klassen oder bevorzugten Stände
seine Anwendung. Wie nirgends ist auch hier kein Stillstand,
sondern Bewegung, und so zeigt die Weltgeschichte einen ewigen
Wechsel der Privilegirten: Priester, Adel, Soldaten lösten sich
nach einander ab, sogar die unterste Schichte des Volks kam an
die Reihe, was wir ja in den „Bewegungsjahren,, zur Freude
aller Fortschrittshelden selbst erlebt haben. Aber Eins war
noch nicht da, hat sich erst in der neuesten Aera zu einer Blüthe
entwickelt, worüber ganz Europa, vielleicht auch sogar Amerika
seine Bewunderung nicht versagen wird: der privilegirte Stand
ist jetzt das Schulmeistert hum, welches im Jahr 1848 heftig,
doch meist vergeblich all die Pforten der Ministerpalais gepocht
hatte, aus dessen Holz aber jetzt die Minister und die hohen
Würdenträger vorzugsweise geschnitten werden. Wohlweislich
hat es zu zweien trefflichen Verbündeten gegriffen und sie als
Läuten und Ecksteine benutzt: die verfeinerte Jurispru-
denz und die verseinerte Theologie. Wir haben schon
manchmal^ das Schutmeisterthnm vom Geheimenrath herab bis
zum Dorfschnlmeister gezeichnet; wir wollen deßhalb heute einen
Blick auf den Eckstein werfen, der sich in dem verfeinerten Juri-
stenthum kundgibt. Doch müssen wir zum Theil aus Besorg-
niß für unser Sitzleder sogleich vorausschicken, daß wir nur eine
Species unserer Juristen in's Auge fassen, zu der sich wohl alle
diejenigen nicht zählen werden, welchen etwa das Unglück be-
gegnen sollte, über den Bürgerredaktenr Flaschon zu Gericht
zu sitzen.

Deutschland hat von jeher vorzugsweise deu Einfluß der
verfeinerten Jurisprudenz verspürt. Mit Recht hat daher der
gothaische Doctrinarismus sie zum engsten Alliirten genommen.
Im Bunde mit ihr kann er das Jahrtausend in die Schranken
fordern. Der Doctrinär liefert das Tuch, der verfeinerte Jurist
schneidet es zu und gestaltet es zum Kleid, und wenn dies
vollendet ist, gibt er ihm die Weihe, deren Charakter so inäsls-
stilis ist, daß das „Bänkle" für Jeden droht, der die Vorzüge
dieser Schneiderarbeit nicht anerkennen will. Der feine Jurist
lächelt mitleidig (freilich nur im stillen Kämmerlein d. h. in der
Camarilla), wenn er sieht, wie der beschränkte Unterthanen-
verstand an einem fleischlosen Knochen, den er ihm hingeworfen,
gierig nagt, weil er daraus die Selbstrechtsprechuug hervorziehen
will: er lacht über das Geschwornen- und Schöffengericht, er
spottet über die Bürgermeisterjustiz. Mit dieser Ironie hat er
es denn auch klüglich dahin gebracht, daß andere tiefer in die
Rechtspflege eingreifende Institutionen, wie Vergleichs- und
Schiedsgerichte, jedesmal in das Reich der Träume verwiesen
wurden, wenn es einmal einem gutmüthigen „Thoren oder Fa-
natiker" gelüstete, ihnen das Wort zu reden. Der feine Jurist
ist eben auch ein „Ultramontaner"; denn ihm gilt das römische
Recht bei weitem mehr als das ureigene deutsche. Hätte man
nur die Hälfte der Zeit und Mühe, statt auf die Pandekten
und ihren Schweif, auf letzteres verwendet, wahrhaftig, in
Deutschland stände es anders und besser! Und wenn Ihr jungen,
feinen Juristen auch noch so vornehm die Achseln über diese
Behauptung zuckt, so halten wir es doch nut einem der ersten
preußischen Juristen (Präsident v. Kirchmann), der eine Schrift
herausgegeben hat, betitelt: „Die Nutzlosigkeit der Jurisprudenz
als Wissenschaft"; wir halten es auch mit jenen so und so viel
Dutzenden von pensionirten Amtsrichtern und Oberamtmünnern
in Freiburg, welche allen Anzeichen nach seit ihrer Pensioniruug
die Jurisprudenz nicht als Wissenschaft cultiviren, sondern viel-
mehr Thibaut und Mackeldey, Landrecht und Zachariä als altes
Eisen betrachten.
Der feine Jurist tritt vor allem in seinem eigenen De-
partement für den Fortschritt in der Gesetzgebung auf, und zwar
so heißblütig, daß sich die Nachfrage nach der juristischen Waare
bis zur äußersten Höhe, ja, sogar bis zur Einführung aus dem
Ausland gesteigert hat. Doch läßt er die große Gesetzesfabrik
auch auf allen andern Gebieten los; je mehr neue Gesetze, je
größer das Chaos zwischen Neuem und Altem, desto besser ergeht
es dem Juristen, der ja nuslegen und anwenden muß. Um
recht viele Gesetze zu machen, stellt er plötzlich einen Grundsatz
(Prinzip!) auf, und wenn eine Zeitlang in einer verquickten
Presse und auf einer geduldigen Rednerbühne oder sogar in der
Bierkneipe dies „Prinzip" mundgerecht gemacht ist, flugs wird
es in einen Gesetzesparagraphen verwandelt! Ist man endlich
damit so weit gelangt, dann wehe dein, der an der Vortrefflich-
keit noch Zweifel hegt, wehe dem, der nicht alle Folgerungen
(Consequenzen!) aus diesem „Prinzip" willenlos zugibt! Der
Staatdarfzu Grunde gehen, ein „Prinzip" niemals.
Wenn der arme Bauer uud Handwerksmann jetzt darüber klagt,
daß er viele Stunden weit zum Gerichtssitz wandern muß, da
heißt es: „Pfui doch, die Co llegialität muß auch in un-
terster Instanz zur Anwendung kommen!" Wenn derselbe (ich
darüber beschwert, daß er jetzt einen Anwalt für söinen Prozeß
aufstellen muß, dann heißt es: „die Kosten sind ja nicht anzu-
schlagen, das Recht ist die Hauptsache!" Und wenn ihn ein
Geschäft zum Notar führt und er sich über die Höhe der Ge-
bühren verwundert, so heißt es: „Ja, Bauer, das muß so sein,
so verlangt es das „Prinzip" des reinen Notariats". Auf-
geklärt über alle diese neuen „Prinzipien" geht das Bäuerlein
leichter von dannen, und ein Griff in die leere Tasche lehrt
ihn das „Prinzip" begreifen. Die neueste Prinziplosigkeit hat
die Landesbase zu entdecken die Ehre gehabt; denn es verstößt
ja gegen einen Grundsatz des Staatsdieneredikts, wenn einem
 
Annotationen