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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 64-76 (2. Juni - 30. Juni)
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Pfälzer

Erscheint wöchentlich L Mal: Dienstag
Donnerstag und Samstag.

für Stadt


65.

Dienstag, den 5. Juni

1866.

Blnntschli.
Aus Süddeutschland, 28. Mai. In der jüngsten Zeit
hat sich bei uns in allen deutschen Angelegenheiten keine
Stimme so ost und so laut vernehmen lassen wie die des Hrn.
Bluntschli. Als eifrigster Agent 'des Bismarckthums ver-
säumt er keine einzige Gelegenheit zur Werbung für dasselbe,
— in der badischen Kammer, im Sechsuuddreißiger-Ausschnß, auf
dem Abgeordnetentage, — in der deutschen, der Parlaments-,
der Schleswig-Holsteinischen Frage. Wer ist denn dieser Herr
Bluntschli, der seine großpreußische Weisheit aller Welt
aufzudrängen sucht, — der badischen Regierung, dem badischen
Landtage, dem deutschen Volke? — Die Antwort lautet: Die-
ser Deutschland-Beglücker ist gar kein Deutscher! Er ist
nicht etwa blos außerhalb unseres Vaterlandes geboren, sondern
ist heute noch Bürger eines fremden Staates. Er ist schwei-
zerischer Republikaner und fürstlicher „Hofrath" in einer
Person. Damit noch nicht genug, bildet das öffentliche Leben
dieses Mannes in der Heimach (und nur von seinem öffent-
lichen Leben reden wir) einen grellen Gegensatz gegen die
Maske, die er zur Förderung der Bismarckischen Entwürfe bei
uns anzulegen pflegt. Er möchte in Deutschland als Vertreter
der freien Richtung gelten, in der Schweiz war er thatsächlich
Vertreter der Reaktion; bei uns stellt er sich entrüstet über
das Psassenthum in Oesterreich, in dein Alpenlande dagegen
wirkte er für die katholischen Kloster wie für den protestanti-
schen Pietismus; bei uns will er als Eiferer für die deutschen
Einigungsbestrebungen gelten, während er in der Eidgenossen-
schaft den Einigungsbemühungen seiner patriotischen Mitbürger
soweit nur möglich entgegenwirkte; bei uns will er für einen
begeisterten Deutschen ungesehen sein, im Kantone Zürich
aber schmähte er die Deutschen im Allgemeinen mit Wort und
Schrift und verfolgte die Einzelnen mit polizeilichen Bedrückun-
gen und Belästigungert. — Eilte lange Reihe von Thatsachen
liefert die Beweise für jede einzelne dieser Beschuldtgungen.
Bemerkbar gemacht hat sich Herr Bluntschli in seiner Vaterstadt
Zürich durch den (von dem ebenso geistvollen als patriottschen
Wilh. Schulz schon gebührend gegeißelten) Ouasikultus Friedrich
Rohmers, welchen Mann Bluntschli in der lächerlichsten mystisch-
pietistischen Weise als einen „Apostel" verehrte, dessen Jünger
er sei. Zu einer größeren amtlichen Wirksamkeit in Zürich
gelangte Bluntschli, bezeichnend genug, in Folge des berüchtig-
ten „Straußenputsches." Vierzehn Tage nach diesem Siege
des Bigottismus, diesen! Siege eines sanatisirten Pöbelhaufens
über eine milde aber schwache liberale Regierung, erblicken wir
ihn auf der Stelle eines netten Regierungsraths (20. Sept.
1839). Seine erste bekannte Thal war nun der Antrag, daß
Zürich aus dem freisinnigen Siebetterbund austrete, welcher
Bund eine Einigung der zersplitterten Schweiz im Sinne der
jetzigen Verfassung anstrebte (20. Oetober uäml. Jahres).
Gleichzeitig befürwortete er im Großen Rathe eifrig etil s. g.
Wnchergesetz. — In Reser Weise wirkte Bl. fort. Am 24.
Juni 1840 sprach und stimmte er im Großen Rathe für den
Antrag: Die der Hochschule gestattete Lehrfreiheit solle sich nur
innerhalb der Grenzen des biblischen Chriftenthums bewegen
dürfen. — Run Verfolgungen unliebsamer Blätter und frei-
sinniger Geistlichen. Bluntschli deklamirte, die Wissenschaft
ermangle der Kraft etwas für sich allein gut zu machen; „denn
neben dem guten Wissen gebe es auch ein schlechtes Wissen."
Bekanntlich hatte die Aargauische Regierung in dieser Zeit die
rebellischen Klöster aufgehoben. Bl. eiferte dagegen und ward
mit entsprechender Instruktion zum Tagsatzuugsgesandien er-
nanut, 9. Mürz 1841. Am 23. Juli erklärte er im Großen
Rathe, daß Zürich eventuell im Aargau mit bewaffneter Macht
für die Klöster einzusü retten habe. Am 22. Juni 1842 wollte
er die Wiederherstellung von drei Klöstern, wozu sich die aargau-
ische Regierung bereit zeigte, für ungenügend erklären. Jndeß
hatte sich die Stimmung doch bereits geändert und er blieb

mit 11 .Stimmen gegen 76 in der Minderheit, und ward auch
nicht wieder zum Gesandten gewählt. Gleichwohl verlangte er
sogar noch am 20. Juni 1843 Wiederherstellung der Aargau-
ischen Klöster; natürlich ohne Erfolg. Mittlerweile hatte es die
reaktionäre Partei versucht, ein Veto zu Gunsten der Regie-
rung zu erlangen. Bl. sprach damals: „Ich habe die Souveräne-
tät des Volkes nie anerkannt; Volkssouveränetät heißt Demo-
kratie und es paßt der Kanton Zürich allerdings nicht für eine
Demokratie." Allein auch dieser Antrag aus Einführung des
Veto wurde mit 115 gegen 54 Stimmen verworfen. — Zwischen-
hinein betrieb Bluntschli die Verfolgung von Deutschen.
Herwegh, Fröbel, Weitling, Heß und viele Andere erfuhren
dies unmittelbar. Es regnete Verhaftungen, Haussuchungen
und Ausweisungen. Er erklärte (20. Decbr. 1843): „Unfern
Boden müssen wir von Atheismus frei halten." Selbst Männer
wie Fallen, Wilh. Schulz, Albrecht u. A. sahen sich mit Aus-
weisung bedroht. — Im Jahr 1844 machte die reaktionärpie-
tistische Partei neue Anstrengungen. Bluntschli, obwohl fast
mit allen Professoren der Universität verfeindet, wurde vom
Erziehungsrarhe Zürn Rektor ernannt. Oefseniliche Angriffe
aus die deutschen Professoren, die man Bl. beimaß, veranlaß-
ten selbst den gefeierten Hitzig (jetzt Kollege Blls in Heidelberg)
sich entschieden gegen dieses Treiben auszusprechen. Bluntschli's
Antrittsrede athmete dermaßen Feindschaft gegen die Deutschen,
daß ein nach Zürich berufener Professor (Sch.) unter Hinwei-
sung aus diese Ausfälle den Rus ablchnte. Am 21. Juni berieth
der Große Rath die Instruktion für die eidgenössische Tagsatz-
ung in der Jesuitenfrage. Bluntschli erklärte, Zürich dürfe
nicht gegen die Jesuiten auftreten. Er unterlag. Dies hinderte
ihn nicht am 26. September einen Antrag aus Reorganisation
des Erziehungswesens im christlichen Sinne eiuzubringen.
(Furrer sprach besonders gegen den beabsichtigten „Gewaltakt").
Der Antrag ward mit 94 gegen 90 Stimmen verworfen. —
Die entscheidende Verhandlung bildete aber die Wahl des
Bürgermeisters (Regierungspräsidenten), am 18. December 1844.
Bluntschli war der Kandidat der reaetionären und Pfaffenpartei,
Dr. Zehnder der der Liberalen. Erst im sechsten Serutin ge-
langte man zur Entscheidung. Zehnder erhielt 99, Bluntschli
97 Stimmen. Im ganzen Kanron herrschte Jubel über diese
Niederlage der Rückschritts-, der Psasfenpartei. Auch ward
Furrers Antrag zur Tagsatzungsinstruktion (gegen die Jesuiten),
trotz Bluntschli's Verwendung für dieselben, angenommen. Nach
verschiedenen weiteren Verhandlungen, die in gleicher Weise mit
Niederlagen Bluntschlis endigten, war seines Bleibens nicht
mehr in seinem Vaterlande. Er folgte, jedoch unter Beibehal-
tung des Züricher Bürgerrechts, einen: unter dem Minister
Abel, traurigen Andenkens, an ihn ergangenen Ruse nach
München, um don — dem Abel'schen Systeme zu dienen! —
welcher „Mission" er mit allem Eifer nachkam. — Dies der
Mann, der heute als Freiheitsvertheidiger, als Vertreter der
kirchlichen Aufklärung, als Kämpfer für die Deutschen und die
Einigung unseres Vaterlandes das große Wort zu führen
sucht. — Die vorstehenden Angaben werden wohl genügen zur
Charakterzeichnung des nunmehr Bismarckischen Helden; nöthi-
gensalls steht jedoch noch weiteres Material zu Gebote.*)
(Neue Franks. Zeitung.)

Baden.
* Heidelberg, 31. Mai. Aus Baden läßt sich die
„Pfälzer Zeitung" schreiben: „Die Volksstimmung in unserm
Lande wird von Tag zu Tag besser, und namentlich die Er-
bitterung der braven Frankfurter gegen die gothaer Katheder-
männer beim Abgeordnetentag hat eine günstige Rückwirkung
*) Der Bote braucht obigem Artikel des demokratischen Frankfurter
Blattes, mit dessen kirchlicher Auffassung er freilich nicht einverstanden ist,
weiter nichts mehr beizufügen; es geht daraus hervor, daß er dem Hrn.
Geheimerath bis jetzt nicht zu viel gethan hat.
 
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