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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 116-128 (2. Oktober - 30. Oktober)
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X Die Christen in der Türkei.
„Die Befreiung aller Gedrückten und Leiden-
den ist der Ruf des Jahrhunderts" — sagt Gervinus
in seiner Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahr-
hunderts, und die Zeitereignisse bestätigen bisher die Wahrheit
dieses Wortes. Ein Volk ist es, das gerade jetzt sich mächtig
erhebt, um die Fesseln abzuwerfen, durch welche es seit Jahr-
hunderten in entehrender Knechtschaft gehalten wurde, — wir
weinen das Christ en volk in der Türkei. Seit mehr als
400 Jahren hat sich die türkische Herrschaft in Europa festge-
setzt. Die europäische Türkei, ohne Moldau, Wallachei und
Serbien, zählt 1(0/2 Millionen Einwohner, und die Muselmän-
ner oder Türken mit nur 40/2 Millionen sind die Herren, und
zwar gegenüber der christlichen Bevölkerung die sehr schlim-
men Herren. Darum reiht sich seit dem Bestand der Tür-
ke nherrschaft eine blutige und grausame Christenverfolgung an
die andere, ohne daß es den christlichen Mächten leider gelungen
ist, diesem jammervollen Zustande abzuhelfen, und voraussichtlich
wird das schwere Joch auf dem Christenvolke liegen bleiben, so
lange der Grobherr von Konstantinopel der Schirmvogt der
ihm unterworfenen christlichen Stämme sein soll. Selbst wenn
der Sultan den Christen gerecht werben wollte, er wird es nicht
vermögen, weil ihm der Türkenhaß gegen die Christen überall
entgegemritt. Wir haben dies seit 1856 erlebt. In diesem
Jahre brachte der Pariser Friede den bekannten Hatti-Humapum
zu Stande, jenen Schutzbcief, wornach die Christen den Türken
rechtlich gleich gestellt wurden, allein die wirkliche Durchführung
dieser Emancipation oder rechtlichen Gleichstellung blieb blos
auf deni Papier; die blutige Verfolgung und Mißhandlung
nahm wie zuvor ihren Verlauf. Wen sollte es wundern, daß
die christliche Bevölkerung abermals gegen ihre Bedrücker auf-
steht, um sich der schmählichen Paschawirthschaft zu entledigen?
Die christlich gebildete Welt sieht mit Spannung aus diese
christlichen Freiheitskämpfe, und was schon längst im Anzuge
war, nämlich die Niederwerfung des Halbmondes oder der Tür-
kenherrschasl auf europäischem Boden, das ist der Gegenstand
allgemeinen Hoffens.
Es ist auch eine Ehrensache für die christlichen Mächte,
daß sie mit aller Kraft für eine erträgliche und angemessene
Lage der christlichen Bevölkerung in der europäischen Türkei
einstehen. Das vergossene Christenblut verlangt Genugthuung
und der türkische Schimpf „Giaur" d. i. „Schwein", womit die

Christen bis zum Uebermaße gekränkt wurden, muß ein Ende
nehmen. Die Regierung des Halbmondes in Europa wird hof-
fentlich zum längsten gewährt haben und der Tag, an dem
sie zusammenbricht, ist die Sühne für jenen Unglückstag des
Jahres 1453, wo mit der Erstürmung von Konstantinopel die
Herrschaft des Sultans und der Paschas Europa befleckt hat!

Bade n.
Heidelberg, 6. October. Die wichtigste Nachricht des
Tages ist unstreitig die Mittheilung aus Wien, daß Freiherr
v. Beust in's österreichische Ministerium treten d. h. doch wohl
das auswärtige Amt übernehmen werde. Daß er dabei auch auf
den Gang der innern Verhältnisse entscheidend einwirken wird,
kann keinem Zweifel unterliegen und ist dann um so erfreulicher,
als tiefgehende innere Reformen für Oesterreich vor allem nöthig
sind, um mit den andern Staaten gleichen Schritt hallen zu können.
Frhr. v. Beust wird es aber auch verstehen, die ganze Schaar jener
unfähigen Köpfe zu entfernen, die das schöne Oesterreich theils
durch Indolenz verkommen lassen, theils durch die albernsten
Dummheiten zu Tode martern. Hierüber liegen uns unglaub-
liche Dinge, die uns von zuverlässiger Seite aus der Kaiser-
stadt berichtet wurden, vor und die jedem, der es wohl meint
mit Oesterreich, das Herz schwer machen. Beust ist nun aber
vollkommen der Mann, die Schurken und Idioten über Bord
zu werfen und mit rüstiaer Hand die Verjüngung Oesterreichs
rn's Werk zu setzen. Namentüch nach Außen hin ist Beust ein
äußerst gewandter Diplomat, der den Vergleich mit keinem an-
dern Minister irgend eines Staates zu scheuen braucht. Was
für uns aber bei der Berufung Beust's das Wlchngste sein
müßte, wäre der Umstand, daß darin der sicherste Beweis läge,
daß Oesterreich nicht entfernt daran denkt, seine deutsche Stel-
lung völlig aufzugeben und seinen Schwerpunkt nach Ungarn
zu verlegen. Beust hat von jeher mit großer Thätrgkeit in der
deutschen Politik eine bedeutende Nolle gespielt, er wird daher
auch jetzt nicht anstehen, diese Thätigkeit sofort wieder aufzu-
nehmen und Preußen in allem die Stange zu halten suchen.
Die Berufung Beust's bedeutet mit einem Wort so viel wie
die Wiederaufnahme des Krieges mit Preußen, sobald Oesterreich
einen besseren Zeitpunkt dafür gekommen glaubt, und dann, so
Gott will! unter günstigeren Auspicien! Wcr haben gleich bei
Abschluß des Friedens vor allzu sanguinischen Friedenshoffnun-
gen gewarnt und bald neue Verwickelungen kriegerischer Art in

Erste, zweite und dritte Liebe.
Eine Erzählung von Wilhelm Fischer.
(Köln. Ztg.)
(Fortsetzung.)
Und sie hat dich abblitzcn lassen — das wissen wir ja alles längst....
Abblitzen? Du verstehst dich auf solche Dinge! Daß sie schüchtern war,
roth wurde und endlich, als Schritte zu nahen schienen, verschämt entfloh,
das ist natürlich. Aber wir sind weiter gegangen, Orestchen, wir sind seit-
dem bedeutend weiter gekommen — und noch in dieser Woche heirathen
wir!
Mensch, rief ich aus, bist du verrückt geworden oder sind deine und
ihre Eltern reif für Siegburg?
Als ob die Alten gefragt würden! entgegnete er; die sind natürlich
fast eben so philisterhaft, wie du. Wie warst du doch noch so ganz anders
in Elberfeld! Jawohl, tompora mutantur, et nos.... Aber ich bekehre
dich vielleicht noch, und vor allen Dingen, ich hab' dich nöthig, drum will ,
ich kaltblütig mit dir reden. Ich bin reich, wie du weißt, und ein einziger
Sohn; Alwine ist auch nicht arm, sonst wohnte ihr Vater nicht so nobel.
Warum sollen wir die schönsten Jahre mit Harren und Hoffen hinbringen?
Warum den Vorurtheilen und Gewohnheiten der Welt unser Glück opfern?
— Da ich sie gar nicht mehr zu sehen bekam, da sie offenbar bewacht .
wurde, so schrieb ich ihr endlich und sah sie Tags darauf, ich glaube mit s
verweinten Augen, am Fenster stehen. Das ertrag ich nicht länger! Ich j
machte ihr einen kühnen Vorschlag, und sie ging darauf ein. Du sollst !
uns helfen. Morgen Abend entführ' ich sie; wir reisen zunächst nach Ober- !
winter und dann in die Eifel, da werden wir copulirt, und dann wollen !
wir einmal sehen, wer uns wieder trennt! O, ich bin so glücklich, so selig.... j
So dämelig! fuhr ich ärgerlich fort. Du hast zu viel Romane gelesen, !

statt deine Nase in den Ooäo H cxoläon zu stecken! Da geht alles das,
Entführung, heimliche Trauung und so weit e so glatt und schön ab. Weißt
du, daß wir in Preußen leben? Daß kein Pistor sich erkühnen wird, euch
ohne Papiere und Aufgebot zusammenzugeben? Das kann der Schmied
von Greatna Green, das vermag in London eine Licenz des Erzbischofs von
Canterbury — hier geht's nicht.
Das wollen wir einmal sehen! rief er hoffnungsvoll. Sie reißen deß-
halb dem armen Pastor doch den Kopf nicht gleich ab, eine schlechtere Stelle
z kann er auch kaum bekommen, und eine etwaige Geldbuße bezahl' ich!
Er reichte mir ein Blättchen, worauf flüchtig mit Bleistift gekritzelt
war: „Geliebtester! Wie eine Sclavin, Du hast Recht, werde ich behandelt;
wenn ein tyrannischer Vater mich nicht bewacht, so thut's die ewig lächelnde
! Mutter oder mein Bengel von B uder, der doch auch schon weiß, wo Bar-
thel den Most holt. Kaum finde ich Zeit, unbemerkt einige Zeilen zu
schreiben. Ich bin ganz mit Dir einverstanden, nur müssen wir bis Mitter-
nacht warten, das ist romantischer — und dann ist's auch dunkler.
Also komm und hole Deine bis in den Tod getreue A."
Die hervorgchobenen Worts waren nicht etwa im Briefe unterstrichen,
sondern sielen mir nur besonders auf.
Ein merkwürdiger Schreibebries für eine junge Dame, sagte ich kopf-
schüttelnd.
Nicht wahr? fragte er mit leuchtenden Augen: sie ist kein gewöhnliches
Mädchen, das ist kein Nomanstyl, keine Pensionsphrasen....
Nein wahrhaftig nicht — naturwüchsige Derbheit!
Taubenunschuld und Schlangenklugheit vereint!
Ich will den geneigten Leser nicht durch Wiederholung all der weisen
Einwürfe und Vorstellungen ermüden, wodurch ich meines Freundes leicht-
sinnigen Plan wankend zu machen suchte: sie blieben sämmtlich ohne Erfolg,
und da ich im Grunde nichts gegen frühe Heirathen aus Liebe habe und
was Klugheit oder deren Gegentheil anlangt, auf derselben Höhe mit meinem
 
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