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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 77-89 (3. Juli - 31. Juli)
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Erscheint wöchentlich 3 Mai: Dienstag
Donnerstag und Samstag.



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Preis: nisrteljährl. 40 kr. ohne Träger-
RRÄ lohn».Postausschlag. Jns.-Geb. 2 kr. d.Z.

* Zur Lage.
In Wien gibt es seit langem zwei entgegengesetzte Strö-
mungen in der politischen Welt, die bis in die nächste Umgeb-
ung des Kaisers sich einander aufs Eifrigste bekämpfen: die
deutsche Partei d. h. diejenige, welche um jeden Preis die Macht-
stellung Oesterreichs in Deutschland gewahrt und seine bisherige
Präponderanz über Preußen aufrecht erhalten haben will; die
andere bisher minder mächtige und wenig berücksichtigte Partei
sieht Deutschland als eine schwere Bürde ohne Nutzen für Oester-
reich an und verlangt daher um jeden Preis den Frieden und
das gleichgültige Geschehenlassen der Dinge „im Reich." Erstere
Partei dringt also auf die kräftigste Fortsetzung des Krieges,
indem sie besonders auf die Schmach hinweist, nach einer einzi-
gen verlorenen Schlacht sich willenlos den preußischen Forderun-
gen zu Füßen zu legen, während die Fortsetzung des Kampfes
durch die Heranziehung der Südarmee große Chancen eines gün-
stigen Ausgangs biete und die Thatsache feststehe, daß Preußen
gleichfalls ungeheure Verluste erlitten und seine besten Kräfte
bereits in Action gebracht habe. Die Friedenspartei weist da-
gegen auf das Versprechen Napoleons hin, Oesterreichs Macht-
stellung im Rathe Europa's aufrecht erhalten zu wollen, aus die
Gefahren abermaliger, vielleicht gänzlich vernichtender Niederla-
gen, auf die mangelhafte Unterstützung Oesterreichs durch seine
deutschen Bundesgenossen, die man daher auch — mit Ausnahme
Sachsens — gleickgültig preisgeben möge. Diese egoistische Par-
tei predigt unablässig die schon von Bismarck aufgestellte Maxime
als das einzige Heil: Oesterreich müsse seinen Schwerpunkt nach
Osten — nach Pesth — verlegen und von da aus eine Reorga-
nisation des Reiches in Angriff nehmen. Sie macht dabei den
deutschen Verbündeten Oesterreichs die bittersten — wenn auch
keineswegs ungerechten — Vorwürfe, und die wiener „Presse",
die sich zum. Organ der Partei gemacht hat, sagt offen: „Wien,
die deutsche Großstadt, ist heute allen Gefahren einer feindlichen
Invasion ausgesetzt; deutsche Kronländer sind vom Feinde über-
schwemmt oder haben dessen Eindringen zu gewärtigen, und doch
wissen wir von unfern süddeutschen Bundesgenossen, das edle
Sachsen ausgenommen, nichts, als daß wir ihnen österreichische
Regimenter zu Hülse schicken mußten, deren Anwesenheit auf dem
Kampfplatze im eigenen Lande nächster Tage vielleicht die Ent-
scheidung zu unseren Gunsten herbeiführen könnte."
Diese Friedenspartei, Zu welcher besonders Minister Belcredi
gerechnet wird, hat jetzt im Rathe des Kaisers die Oberhand ge-
wonnen, und wir zweifeln daher nicht, daß der Friede in
kürzester Frist zu Stande kommen wird.
Wir haben aber wiederholt ausgeführt, daß und warum
mir entschiedene Gegner eines solchen Friedens sind, der ein
durchaus fauler werden muß. Freilich können wir es manchem
österreichischen Staatsmann nicht verargen, wenn er im Unmuth
über die klägliche Haltung mancher verbündeten Staaten Oester-
reich auf sich selbst beschränkt wissen will. Oder hat man viel-
leicht von dieser Seite her nicht Oesterreich von vorncherein an
jeder kräftigen Politik gehindert? Hat man ihm nicht beständig
vorgesagt, es müsse den ersten Schuß auf sich feuern lassen, um
nicht als Angreifer zu erscheinen, während der Angreifende doch
stets den größten Vortheil für sich hat? Hat man auf diese Weise
nicht ganz Norddeutschland und Sachsen widerstandslos preis-
gegeben? Hat man nicht —- um uns mild nuszudrücken — durch
Faulheit und Ungeschick die braven Hannoveraner aufgeopfert?
Herrscht nicht überall die Dummheit im Lager der Mittelstaa-
ten, lauert nicht sogar der giftige Verrath?
So sehr wir daher die gerechte Erbitterung Oesterreichs
über die lahme Action der Bundesgenossen begreifen, so sollte
man in Wien doch nicht an eine völlige Preisgebung der letzte-
ren denken, man sollte sich nicht freuen über das Strafgericht,
das über sie hereinbricht, weil Oesterreich dadurch am
härtesten sich selbst bestraft. Mag Oesterreich im Unmnth

Vielleicht jetzt sich mit dem Gedanken bereits vertraut gemacht
haben, aus dem Bunde zu scheiden, — so viel ist sicher, es wird
jede günstige Gelegenheit zu seiner Selbsterhaltung benützen müs-
sen, um die Annäherung an Deutschland und deutsches Wesen
wieder anzustreben. Derartige durch die Reihe der
Jahrhunderte und eine glorreiche Geschichte gehei-
ligte Bande lassen sich für beide Theile nicht ohne todbrin-
gende Operationen gewaltsam zerschneiden. Oesterreich wird, zum
slavisch-magyarischen Staate geworden, umsonst in den außer-
deutschen Stämmen staatenbildende Elemente suchen — es wird
stets wieder auf die deutsche Kraft zurückkehren müssen oder dem
Auflösungsprozeß rasch entgegeneilen. Wir hätten daher nichts
sehnlicher gewünscht, als eins frische, kräftige Fortsetzung des
Kampfes, der bei der Zähigkeit des österreichischen Volkscharak-
ters gewiß einen guten Ausgang genommen hätte. Oder lehrt
die Geschichte vielleicht nicht, daß Oesterreich sich schon mehr als
einmal in nicht minder schweren Verwickelungen befunden und
dann stets mit erneuter Kraft und Schlagfertigkeit aus dem Un-
glück hervorgegangen ist?
Für die andere deutsche Staatengruppe ist aber der Friede
im jetzigen Augenblick nicht minder gefährlich als für Oesterreich
und birgt, wie wir uns nicht verhehlen dürfen, die Keime wei-
terer, höchst gefahrvoller Kriege in seinem Schooße. Täuschen
wir uns nicht: Deutschland geht einer höchst gefahrvollen Zu-
kunst cntgegen, mögen die preußischen Rodomontaden noch so
hochtrabend klingen. Vor allem wird die vermeintliche Einheit,
d. h. die stets so viel gepriesene Herrschaft des preußischen Cä-
sarismus nicht zur Wahrheit werden, vielmehr ist — wie alle
Berichte lauten — Südwestdeutschland bestimmt, eine dritte
Staatengruppe zu bilden, was uns immer noch lieber ist, als
preußisch werden. In dieser dritten Gruppe wird alsbald eine
große Hetzjagd zwischen den schwarzweißen Einheitsmännern und
den Freunden einer freiheitlichen, dem nackten Cäsarismus und
der Junkerei abholden Entwickelung auf föderalistischer Grund-
lage beginnen. Der Widerwille des Volks gegen das Preußen-
thum wie der Wille Europa's werden die Einzwängung Süd-
deutschlands in die preußische Zwangsjacke unmöglich machen;
aber der Kampf der Parteien wird trotzdem ein erbitterter wer-
den und so lange die Ruhe, den Frieden und die gedeihliche
Gestaltung der Dinge verhindern, als nicht die gothaischen Hetzer
und Fremdenlegionäre hinausgeschafft sind, womit man bei Zeit
den Anfang machen sollte. Die dritte Staatengruppe unter
Bayern als Vorort wird aber unablässig den Appetit Preußens
reizen und sein Hinausgreifen über die Mainlinie herausfordern.
Wer den preußischen Uebermuth kennt und ihn gar jetzt zu
kennen Gelegenheit findet, wird keinen Augenblick hierüber zwei-
felhaft sein; er wird aber auch darüber keinen Zweifeil hegen,
daß dieser allzu große Uebermuth und das beständige Trumpf-
spielen preußischerseits den zweiten Krieg entzünden wird, der
dazu angelegt ist, Preußens Herrschaft vom Norden auch auf
den Süden Deutschlands zu übertragen, ein Krieg, der aber noth-
wendig ein europäischer werden und das Verderben Preußens
herbeiführen muß.
So gewaltig nun auch dis augenblicklichen Erfolge Preußens
für jetzt die Waagschale zu seinen Gunsten hinabdrücken mögen,
so wenig verzweifeln wir an der Sache des Rechts und der
Freiheit, die die unsere ist, weil sie allein in der sittlichen
Weltordnung ihre Begründung hat und die Gewalt und das
Unrecht nur kurz andauernde Siegesorgien feiern können. Nur
der oberflächliche Mensch läßt seine Sinne von dem wilden
Rausch des preußischen Siegesjubels gefangen nehmen; der tie-
fere Kenner und Beobachter des Ganges der menschlichen Dinge
blickt mit Ruhe auf die Entwickelung der Zukunft und hält mit
eiserner Consequenz mitten unter den stürzenden Trümmern ei-
ner zusammenbrechenden Ordnung die Fahne hoch, aus der die
Herrschaft des Rechts geschrieben ist, und so wahr der Glaube
Berge verrücken kann, so ist es ihm, wenn das Volk festhält,
 
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