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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 51-63 (1. Mai - 31. Mai)
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Die Kniebeuqung unserer Gothaer vor Bismarck.
Es kostet dem praktischen Mann eine überaus große Über-
windung in einer Zeit, die zu Thaten drängt, das Phrasenge-
klingel der gothaischen Helden zu hören oder zu lesen. Nochmals,
nicht unwahrscheinlich das letzte Mal, heben sie aus voller Kehle
in den verschiedensten Tonarten den „Beruf Preußens" in die
Lüfte und gedenken hiebei seiner als „modernen" Staates. (Daß
Gotr erbarm! ja „modern" in der Vergewaltigung, in Zucht-
hausverordnungen, in Obertribunalsbeschlüssen, in Verachtung
der Volksvertretung, in der Zerstörung der wirthschaftlichen Zu- !
stände des Landes!)
Was aber ganz besonders bezeichnend für diese Sorte Men-
schen ist, besteht in ihrer plötzlichen Begeisterung für Bismarck,
gerade für jenen Mann, der mit Recht von dem deutschen Volke
als die Ausgeburt der Hölle verabscheut wird. Diese Lob-
preisungen müssen doch endlich dem gesummten Volke die Augen
darüber öffnen, wohin das Golhathum es bringen will.
Hören wir, wie der gesunden Volksstimme gegenüber die
gothaischen Helden in der badischen I. Kammer einen Bismarck
jetzt für etwaige „Gimpel" mundgerecht zu machen suchen. So
drückt sich Meister Bluntfchli folgendermaßen aus: „Wenn
wirklich es der Wahlspruch des Geschlechtes Bismarck und dieser
Wahlspruch auch wahr ist: „Viel Feind, viel Ehr", so darf man
keck behaupten, es gibt keinen Mann in Deutschland, auf dessen
Haupt sich mehr Ehren häuften, als den Grafen Bismarck, denn
keiner hat mehr Feinde. Die öffentliche Meinung urtheilt ganz-
besonders rasch und keck ab über ungewöhnliche Menschen, und
doch ist nichts schwerer, als in der Seele ungewöhnlicher Mett-
scheu richtig zu lesen. So ganz unmöglich ist es doch nicht,
daß sich die öffentliche Meinung auch über den Grasen Bismarck
täuscht, wie sie schort oft sich getäuscht hat. In einem Punkte
wenigstens hat sie sich sicher getäuscht. Sie hat den Grasen
Bismarck für den Typus gehalten aller Reaktion, für den aus-
gesprochensten Vertreter der feudalen Partei rind des preußischen
Juukerthums. Die Kreuzzeitung dürfte doch diese Vorstellung
berichtigen. Nichts ist gewisser, und Jeder kann sich in der
Kreuzzeitung davon überzeugen, die ächten Reaktionäre, Feudalen
und Junker haben gegen den Grafen Bismarck ein fast eben so
großes Mißtrauen, als die liberale Partei, und vielleicht keinen
geringeren Haß. Sie sehen in ihm den Zerstörer des Feudalis-
mus und der Legitimität und deal Buhlen der Revolution."
Ganz in gleicher Weise ließ sich Ministerialrath Jolly
(früher Heidelberger Professor), der getreue Schildknappe des großen
Bluntschli, vernehmen: „Der Graf v. Bismarck hat aber in seinem
Schicksal in einer Beziehung eine merkwürdige Aehnlichkeit mit
einem andern Mann, der jetzt mit noch weit größerem Einflüsse
in die Geschicke Europa's eingreift. Der Held voll Straßburg
und Boulogne galt aller Welt als ein lächerlicher Phantast, heute
wird keül Denkender bestreiten, daß der Kaiser Napoleon ein ganz
eminent kluger, kalter, vorurteilsfreier Rechtler in allen politischen
Dillgen ist. Auch Graf v. Bismarck hat sich in ganz anderer
Weise entpuppt, als wir erwartet hatten. Es ist Zeit, sich von
dem erkannten Vorurtheile frei zu machen. Mir scheint, daß er
ein Mann voll ganz eminenter Begabung, von einer eben so sel-
tenen, als schätzenswerthcil Willenskraft ist. Ich halte ihn für
einen preußischen Patrioten, der mit unbedingtester Hingebung für
die Größe seines Staates arbeitet, und für mich wenigstens ist die
Macht Preußens voll der Größe Deuftchlauds nicht getrennt zu
denken. Alles Das kann man nicht läugnen."
Mit einem wahren Hohngelächter muß jeder Deutsche, der
noch seine fünf Sinne hat, diese Vergötterung Bismarck's lesen.
Wie? Bismarck, der bisher in der iunern preußischen- Politik das
größte Fiasko gemacht, der hier die stärkste Verachtung gegen alles
Volksthümliche bewiesen hat, der fortwährend als Abgott voll den
Kreuzrittern und Junkern verehrr wird, Bismarck, der vor Napo-
leon gekrochen hat, aber von diesem mit einem moralischen Fuß-

tritt fortgejagt wurde, der seit Jahren und bis zur helltigell Stunde
von den ersten Staatsmännern Englands als ein Don Quixote
in osficiellen Noten und Reden bezeichnet wurde, der sich nun an
den wälschen, bankerotten König anklammert, um seinen Haß gegen
Oesterreich zu befriedigen, der, um seinen Zweck zu erreichen, jedes
unmoralische Mittel ergreift, der heute die Demokratie fesselt und
morgen sie als Hetzhund gebrauchen will, dessen Drohnoten an die
deutschen Mittel- und Kleinstaatsregierrmgen mit Verachtung zurück-
gewiesen wurden, dessen einziger Erfolg darin besteht, einem
schwachen Fürsten zu imponiren — derselbe Bismarck soll ein
„ungewöhnlicher Mensch", „aur dessen Haupt sich so viele Ehren
häufen", „ein Mann von ganz eminenter Begabung", „von einer
schätzenswerthen Willenskraft" sein!
Auch in Bezug auf dell gefeierten Bismarck ist dein Ehren-
mann Bluntschli das gleiche Mißgeschick wieder begegnet, wie so
oft in andern Dingen. Erinnert sich wohl noch Ehrenmann
Bluntschli seiner von ärgstem Hohn und Scttyre strotzenden Rede
bei der Feierlichkeit der Eröffnung der Eisenbahn zu Mosbach, —
einer Rede, welche die Bismarck'sche Phrase voll „Blut und Eisen"
auf die ärgste Weise geißelte, welche überhaupt geeignet war, den
jetzigen Helden Bismarck völlig in den Koth herabzuziehen? Da
Hunderte von Zeugen diese Rede mitangehört haben, so wird und
kann sie nicht verläugnet werden, wie so vieles Andere, was von
i dem Jünger Fnedrich Rohmer's in Zürich und München ge-
schehen ist.
Doch ftir Eins kann die neueste gothaische Küiebeugung vor
Bismarck immerhin gut sein: ftir die baldige Uebersiedelung der
, Fremdenlegion nach Berlin!
B L d c N»
* Heidelberg, 19. Mai. Der deutsche Reformversin ist
durch die ihm günstige Wendung der Dinge, namentlich durch
bas gewaltsame Vorgehen Preußens, wieder zu neuer Thätig-
keit aufgeweckt worden. Besonders erscheinen jetzt von Zeit zu
Zeit Flugblätter über die politische Lage. Das uns heute zu-
gekommene neueste Flugblatt (Nr. 4) enthält die Allsichten des
Vereinsausschusses in folgenden Sätzen:
1. Ein Krieg Zwischen deutschen Staaten ist gleich verderb-
lich ftir ganz Deutschland wie für jeden einzelnen Theil. Er
führt zur Einmischung des Auslandes mit allen ihren schmäh-
lichen Folgen.
2- In einem solchen Kriege wäre Neutralität Bruch der
> Bundespflicht und Vaterlaudsverrath.
3. Die Selbständigkeit der Elbherzogthümer steht unter
dem Schutze des Bundesrechtes. — Wer das Rechl eines Bundes-
gliedes anlastet oder den Frieden des Bundes stört, zwlngt alle
bundestreuen Staaten, sich am Kampfe gegen den Friedens-
brecher zu betheiligen.
4. Ilm in dieser Gefahr die Kraft Deutschlands zur Gel-
tung zu bringen, müssen die Regierungell der Mittel-lind Klein-
staaten als eine einzige fest in sich verbundene Masse auftreten.
Das deutsche Volk hat die Pflicht, ein solches Vorgehen mit
aller Kraft Zu unterstützen, — es wahrt dadurch am besten
seine Freiheit und Wohlfahrt.
5. Die Zukunft Teuischlands wird nur dann gesichert sein,
wenn die Reform den Bundesverfassung aus Grundlage der
Betheiligung einer Volksvertretung au Leitung der Bundesan-
aelegenheiten ins Leben teilt.
Dann wird kurz auseinandergesetzt, wie ein deutscher
Bruderkrieg nur dem Auslände, namentlich Frankreich, nützlich
sein kann, das den letzten Rest der ihm verhaßten Verträge
von 1815) in der Losrcißung des linken Rheinufers voll Deutsch-
land beseitigen wird.
Sehr gut heißt es über die von ocn Gothaern in verschie-
denen Ländern, so besonders auch bei. uns in Baden, vorgeschla-
gene Neutralität:
 
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