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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 40-50 (5. April - 28. April)
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Pfälzer DH Bote
für Stadt Md Land.
^HZ. 49. Donnerstage den 26. April 1866.

Die Sitzung vom 21. April in der ersten
Kammer.
Die gestrige Sitzung der I. Kammer war die stürmischste
dieser Session, der engbegränzte Zuhörerraum dicht mit Neu-
gierigen besetzt. Frhr. v. Andlaw, dessen Rede wir nachtragen
werden, begründete seine Anklage gegen Staatsrath Lamey
wegen Amtsmistbrauchs u. s. w. Die meisterhafte Rede And-
law's währte ü volle Stunden; die Aktenstücke, auf die er sich
stützte, Zoll art der Zahl, enthielten die unwiderleglichsten Be-
weise von der Härte und Höhe der Strafen, die wegen Ver-
weigerung der Ortsschulrathswahlen renx. Eintritt irr den Schul-
rath über das „Privatgewissen" verhängt wurden. Gegen Be-
weise, wie sie der greise Freiherr vorbrachte, konnte Staatsrath
Lamey keine Widerlegung durchführen, ja, er versuchte sogar
nicht einmal eine solche. Seine Rede hielt sich wenig an die
Sache, vielmehr nur an die Person, und zwar an seine eigene,
indem der Herr Staatsrath ein ausführliches Gemälde seiner
Tugenden und Verdienste entwarf, wobei er unter Anderm sogar
von sich selbst sagte: „ich habe noch wenige Menschen kennen
gelernt, welche so verträglich sind wie ich". Auch auf sein ehr-
liches Privatgewissen that sich der Herr Staatsrath viel zu gut,
das ihm keine Vorwürfe mache, was wir sehr begreiflich finden,
da es mit dem Staatsgewissen in vollem Einklänge steht. Wir
übergehen die übrigen Lobeserhebungen seiner eigenen Person,
die den Gruudzug der ganzen Rede bildeten, und bemerken bei
dieser Gelegenheit nur, daß wir weit davon entfernt sind, den
Herrn Staatsrath für einen sehr bösen, rachedürstenden Mann
zu halten, Gott bewahr! wir gestehen sogar zu, daß er ein
musterhafter Familienvater ist und daß ihm eine gewisse Uon-
llomniia nicht abgesprochen werden kann. Dagegen wissen wir,
daß Herr Lamey sehr heftig und aufbrausend ist und bei allen
Gelegenheiten die Gegner durch unparlamentarische, tief ver-
letzende Schmähungen, wie „Gimpel", „Handvoll Thoren" u. drgl.
aufs Aeußerste reizt und kränkt. Zudem war Herr Lamey so
sehr an den Weihrauchduft der Popularität seit langem gewöhnt,
daß er den Widerspruch nicht mehr ertragen kann, daß er das
ganze Volk für durchaus zufrieden mit seinen neuärarischeu
Gesetzen hält und deßhalb die „Handvoll Thoren und Fanatiker"
nur um so strenger strafen lassen zu müssen glaubt, damit die
„eminente Mehrheit des Volkes" Ruhe bekomme. Uebrigens ist
es leicht möglich, wie von verschiedenen Seiten behauptet wird,
daß weniger Herr Lamey als Ministerialrats) Jolly die Strafen
befürwortete. Wenn übrigens der Herr Staatsrath sich darauf
berief, daß es seine Pflicht fei, das einmal vorhandene Gesetz
durchzuführen, und zwar selbst mit Strafen, so muß ihm ent-
gegengehalten werden, daß das Gesetz nirgends von Geldbußen
für den Fall der Verweigerung der Wahl spricht, und hätte
man nach Analogie der bei Gemeinvewahlen üblichen Praxis
verfahren wollen, so hätten die Strafen unter keinen Umständen
so hoch fein können, wie man sie bei den Ortsschulräthen fest-
gesetzt hat. Auch ist nirgends eine bestimmte Norm, ein festes
Strafmaß vorhanden, sondern die «strafen wurden bald groß,
bald klein von dem jeweiligen Beamten festgesetzt und so dem
subjektiven Belieben eines bald milderen, bald strengeren Amt-
manns überlassen. Herr Staatsrath Lameu berief sich ferner
darauf,^ daß von den 356 Fällen nur 22 auf dem Rekursweg
anv Ministerium des Innern gelangt seien, allein gerade die
Abweisung jener 22 beim Ministerium beweist am besten, daß
tue übrigen Gestraften vollkommen Recht hatten, wenn sie auf
den Rekurs verzichteten, weil sie sich damit die Geldbußen durch
das Hinzukommen der hohen Sporteln nur noch bedeutend größer
gemacht hätten.
Die Herren Faller, Ministerialrath Jolly u. A. traten
zur Vertheidigung Lameys auf, Herr Bluntfchli ging so weit,
daß er die Klage des Herrn v. Andlaw einen „Humbug"
(schwindel- nannte und daß er die in Bierhäufern viel ver-

nehmbare geistreiche Bemerkung machte: die katholische Bewegung
sei durch die „Jesuiten" (!) angeschürt. Er meinte, die Re-
gierung sei viel zu mild, es müsse strenger verfahren werden, —
meinte er, der „liberale" Mann! Herr Geh. Hosrath Schmidt,
der neulich einen Orden erhalten hat, sprach von einem Ver-
trauensvotum an Lamey. Die Herren Graf Kagen eck, Frhr.
v. Stotzingen, Fürst v. Löwenstein und Frhr. v. Göler
traten aus die Seite Andlaw's. Schließlich mahnte Staats-
rath Lamey, da die Zeit schon sehr vorgerückt war, an den
Mittagstisch, woraus zur Abstimmung geschritten und der Antrag
Andlaw's mit einer Mehrheit von 3 Stimmen verworfen wurde.
Die Sitzung hatte von 9 Uhr Morgens bis D<4 Uhr des -Nach-
mittags gewährt.

Baden.
— Wieblingen, 19. April. Gestern Abend Dö Uhr zog
der neu ernannte katholische Pfarrer Geißler von Boxberg hier
ein. Derselbe wurde am Schulhause von dem bisherigen Pfarrver-
walter Thöne, dem Stiftungsvorstand, der Schuljugend von hier
und Eppelheim empfangen und unter Glockengelüute und Flinten-
und Böllerschüssen in die Kirche geführt. Aus gleiche Weise wurde
auch heute Morgen V? 9 Uhr der scheidende Psarrverw alter Thöne
aus Wieblingen hinausbegleitet. Die katholische Gemeinde Wieb-
lingen legte "durch diesen Art Zeuguiß ab, daß in ihrer Mitte
noch Glaube und Liebe au ihre Kirche wohnt. Sie wünscht,
ihren neuen Seelsorger recht lange zu erhalten und dem nach
Boxberg ernannten Hr. Pfarrverwalter Thöne die gleiche Achtung
und Liebe, mit der mau ihm hier stets entgegen kam.
O Bm» Neckar, 23. April. Ja, Herr Bluntfchli, es
gibt jetzt viel, viel „Humbug" in der Welt. Derselbe war zwar
schon im grauen Alterthum bekannt; das zeigt bereits die Ge-
schichte von Esau. Aber jetzt steht er doch vorzugsweise in
Blüthe: „Humbug" in der Geschäftswelt, „Humbug" in der
Religion, „Humbug" in der Politik, und zwar nirgends mehr
„Humbug" als in der gothaischen Politik. Letzteres wird
der Herr Geheimerath doch wohl zugeben müssen, es sei denn
er wiese nach, daß ein einziges der gothaischen Experimente auch
einmal Früchte (außer den fetten gothaischen Besoldungen-
getragen Hütte. „Humbug" nennt das Schleswig-Holsteinische
Volk die preußische Annexion, „Humbug" ist für die Coburger
die preußische Militüreonvention, „Humbug" sogar die preußi-
schen Zündnadelgewehre in Meiningen, großen „Humbug" treiben
die preußischen Geschichtsschreiber, den größten aber Herr v. Bis-
i marck mit seinen: deutschen Parlament; doch diesen wird Herr
Bluntfchli wohl in der nächsten öffentlichen Sitzung der I. Kam-
mer kennzeichnen. Aber wer sollte wohl denken, daß vor so
und so viel Jahren in dem ehrsamen München-Athen gleichfalls
ein starker „Humbug" getrieben wurde. Jammerschade daß der
launische Kolb in Augsburg seine Augen geschlossen hat, um
über die geheimsten Jntriguen, welche den größten „Humbug"
enthielten, Aufschluß zu geben. Wie war doch die Geschichte,
? Herr Geheimerath, mit Ihren: Busenfreund Friedrich Rohmer,
- dessen Jünger zu sein Sie sich zur Ehre rechneten? wer empfahl
i doch diesen Cagliostro, der in der Zeil vor dem Sonderbunds-
krieg von Fürst Metternich in die Schweiz geschickt worden war,
um den dortigen Conserontiven „Ideen" beizubringen, beim
bayerischer: Regierungswechsel durch Wallerftein zum Minister?
i Und rvie verlief doch die erste und einzige Audienz, die dieser
! Mmistereandidal beim König Max gehabt hatte? Wenn ein
derartiger Candidat im Rausche einen „Humbug" aufführen
wollte, so war das vielleicht das Stärkste was je irr München
hinter den Coulissen getrieben wurde.
X Neckarau, 23. April. Die vor: hier an Vie erste
Kammer abgegangene Adresse katholischer Männer zählt 96 Unter-
schriften.
A Von der Windcck, 20. April. Heme ist von oen (M:-
meindeu Kappelwindeck und Altschweier eine Protesterklärung ^-
 
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