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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 64-76 (2. Juni - 30. Juni)
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Bote

ANZ Land.

Preis: Vierteljahr!. 40 kr. ohne Träger-
lohn u. Postaufschlag. Jns.-Geb. 2 kr. d.Z.

pU 68. Dienstag, den 12. Juni 1866.

*Zur Lage.
Die Preußen sind also in Holstein eingerückt, um das Zu-
sammentreten der von Oesterreich berufenen Ständeversammlung
mit Gewalt zu hindern, und da Oesterreich sich einen derartigen
Schimpf nicht wird bieten lassen können, so kann jeden Augen-
blick der erste Kanonenschuß krachen, mit dessen Verhallen die
Kriegsflammen über Deutschland zusammenschlagen. Unglückli-
ches Vaterland! Wie oft bist du nicht schon durch den Ehrgeiz
und den Unverstand deiner Großen der Tummelplatz der Frem-
den geworden, die deine gesegneten Fluren verheerten, deinen Ge-
werbfleiß und Handel vernichteten, deine Söhne mordeten, deine
Töchter schändeten und dein Hab und Gut aus dem Hause schlepp-
ten! Und das alles soll sich in unsrer Zeit der Civilisation und
einer rastlos fortschreitenden Bildung abermals wiederholen, nur
weil es einem einzelnen Menschen, dem -das eigene Volk flucht, !
einem Bismarck, gelüstet, „in den Lenz hineinzuschießen!"
Doch blicken wir auf die letzten Vorgänge. Da ist zunächst
die Erklärung Oesterreichs in der Bundestagssitzung vom 1. Juni
von unberechenbarer Wichtigkeit. Oesterreich kehrt darin vollständig
auf den Bundesstandpunkt zurück, den es in einer unheilvollen
Stunde preisgegeben, um dem falschen Verbündeten in den Krieg
zu folgen; es verlangt jetzt, daß nicht, wie bisher, die deutschen
Großmächte über Schleswig-Holstein nach Willkühr verfügen sollen,
sondern daß der deutsche Bund im Einvernehmen mit der Bevölker-
ung der Herzogthümer die Entscheidung dieser Frage Zur Hand !
nehme. Zugleich zeigte Oesterreich an, daß es die holsteinischen !
Stände in dieser kritischen Lage zusammenberusen habe, um den
Willen des holsteinischen Volkes kennen zu lernen. Durch den
ersten Schritt weiß Oesterreich den Bund in Mitleidenschaft Zu
ziehen und den faulen und feigen Nentralitätsabsichten einiger
Mittel- und Kleinstaaten die Spitze abzubrechen. Durch die Ein-
berufung der holsteinischen Stände erwirbt es den Dank und die
begeisterte Anhänglichkeit des schleswig-holsteinischen Volkes und !
die lebhaftesten Sympathien der gesammten deutschen Nation, die
durch das rücksichtslose Einrücken der Preußen zur Sprengung
der Ständeversammlung nur erhöht werden können. Denn die
unerhörte Brutalität Bismarcks gegen Schleswig und die Landes-
vertretung Holsteins sind der beste Prüfstein für die Aufrichtig-
keit seines Parlamentsvorschlages, wenn es überhaupt einem Bis-
marck gegenüber eines solchen Beweises noch bedürfte. Nie und
nimmermehr wird es Herrn Bluntschli mit feinem neugothaischen
Troß gelingen, dem deutschen Volk den Bären aufzubinden, daß
von Bismarck eine freiheitliche Lösung der deutschen Verfassungs-
wirren im Ernste angestrebt werde.
Aber Oesterreich, schreit man aus dem preußischen Lager,
hat auch den Congreß abgelehnt und beweist dadurch, daß es den
Krieg wünscht und herausfordert. In der That kann es nichts
Schmachvolleres, nichts für den deutschen Vaterlandsfreund tiefer
Beschämendes geben, als diese und ähnliche von gothaischer Seite
aufgestellte Behauptungen. Oesterreich, von der Last feiner Schul-
den niedergedrückt, von inneren und äußeren Feinden rings nur-
geben, das stets friedfertige, von allen Seiten gedrängte und zum !
Widerstand herausgeforderte Oestemeich, soll der Hetzer, soll der
Stören sried Europa's sein! Während Preußen freilich unter-
allen Mächten zuerst sich beeilt hat, ohne alle Vorbehalte in Paris
von den Fremden die Geschicke Deutschlands bestimmen Zu lassen,
wofür ihm der ausdrückliche Dank des Auslandes nachträglich Zu
Theil geworden ist, hat Oesterreich an feine Betheiligung zwei Be-
dingungen geknüpft, die seiner offenen und deutsch gesinnten Politik
alle Ehre bringen: die schleswig-holsteinische Frage darf der Ent-
scheidung des Congrefses nicht anheimfallen, weil sie eine innere
deutsche Angelegenheit ist und ebenso wenig dürfen andere Mächte
über Oesterreichs Eigenthum, über Venetien, nach Belieben dispo-
niren wollen. Dies sind zwei Bedingungen, an denen der Congreß
scheiterte, weil den Ausländern, insbesondere Napoleon, dadurch
die Gelegenheit entzogen ist, sich zum Schiedsrichter der deut-

scher! Geschicke aufzuwerfen und zur Bevormundung und Beraub-
ung des deutschen Volkes und zur schmachvollsten Demüthigung
Oesterreichs sich die Hände zu reichen, worauf es ihnen doch allein
bei ihrem Congreßvorschlage ankam. Wahrlich, ihr deutschen
Patrioten, wir können Oesterreich nicht genug dafür danken, daß
es jenes äußerste Maß der Schande von Deutschland abgewendet
hat, woruach der übermüthige Franzose, der hochfahrende Brite,
der barbarische Russe, der wälsche Todfeind deutschen Namens
jenseits der Alpen und Gott weiß wer sonst noch über das mit
deutschem Blut gedüngte Schleswig-Holstein, das vielbesungene, ja,
selbst über die Rheingränze die Entscheidung zu treffen habe. Lieber
sollen die Waffen entscheiden — und mögen sie es bald thun!
Und nun gar Venetien? Wer hat ein Recht, Oesterreich zu-
zumuthen, ein Stück seines Reiches herauszugeben, um dafür eine
zweifelhafte anderweitige Gebietsentschädigung zu nehmen, die es
sich erst selbst mit den Waffen holen müßte und wobei es seiner-
seits wieder den Räuber zu spielen hätte? Was würde Frankreich
dazu sagen, wenn man auf dem Congresfe eine corsiknnische, eine
savoyische, eine algierische, eine elsässische Frage auf's Tapet
bringen wollte, weil die Bewohner dieser von Frankreich eroberten
oder annectirten Länder keine Franzosen sind; was Rußland in
Betreff Polens, England gegenüber Irland und den vielen über-
seeischen Colonien? Nur nur Deutsche sollen so gutmüthig-bornirt
sein, uns in den engsten Grüuzen unserer Nationalität zu halten!
Und hat denn Venetien nicht zugleich die höchste Bedeutung für
Deutschlands Sicherheit? Wollen es die Freunde der Wälschen,
die Gothaer, abläugnen, daß nach dem Verluste Veuetiens für
Oesterreich die Italiener nur noch größeren Appetit nach Er-
oberungen erhalten, daß sie dann, wie sie jetzt schon so oft zuge-
standen haben, Südtyrol, Triest und Dalmatien unk dem ganzen
österreichischen Küstengebiet am adriatischen Meere verlangen wer-
den? Damit wäre aber Deutschland von dem gewaltigen Schiff-
fahrtsverkehr des mittelländischen Meeres völlig ausgeschlossen, und
die vielen Millionen, die Oesterreich auf Anlegung des venetiani-
schen Festungsvierecks, jener gewaltigen Vormauer Deutschlands
gegen die Wälschen, verausgabt hat, wären nicht blos in den
Wind geworfen, nein! sie müßten sogar unter weit ungünstigeren
Verhältnissen zum zweiten Male verausgabt werden, weil man
weiter rückwärts auf deutschem Boden gleich starke Festungen ge-
gen die stets weiter vordringenden Italiener und die mit ihnen
verbündeten Franzosen erbauen müßte, ohne daß die Natur in so
ausgiebiger Weife die strategischen Linien selbst vorzeichnete, wie in
Venetien durch dicht bei einander liegende Flüsse mit steilem Ufer, tiefe
Seeen, mit denen das flache Land überschwemmt und die Festun-
gen unzugänglich gemacht werden können, durch ein überall von
wasserreichen Gräben durchschnittenes, wellenförmiges Land, das
den Operatiouen der feindlichen Artillerie viele Schwierigkeiten
in den Weg legt, und endlich durch die gewaltigen Gebirge im
Rücken, von denen her unablässig zahlreiche Heeresabtheilungen
ungehindert über den Feind herfallen können, noch ehe er sich des
Angriffs versieht. Nein, Oesterreich wird gutwillig nie und nim-
mermehr sich und Deutschland der gewaltigsten Bollwerke im Süden
berauben lassen, mögen auch die Franzosen und Italiener und die
mit diesen verbündeten Preußen und gothaer Zungendrescher Him-
mel und Hölle dafür in Bewegung setzen! Haben ja doch früher
schon die berühmtesten preußischen Militärautoritäteu selbst, na-
mentlich General v. Radomitz, ihr Gutachten dahin abgegeben,
daß das Festungsgebiet in Venetien für Oesterreich und Deutsch-
land unentbehrlich, ja für ersteres eine Lebensfrage geworden st !
Dies ist die Lage der Dinge am Vorabend eines deutschen,
eines europäischen Krieges. Und Baden? Zwar hat. man
jetzt vinen Credit für Anschaffung von Pferden und dergl.
von der Kammer verlangt uud trifft auch allmählig Anstalten
im Kleinen, um einigermaßen bei Ausbruch des Krieges gerü-
stet zu sein. Allein es ist immer noch kein rechter Ernst da-
mit; man will vermitteln, wo nichts mehr zu vermitteln ist,
man träumt von Parlamentseinberusung und Bundesumgestal-
 
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