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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 51-63 (1. Mai - 31. Mai)
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Dienstag, den 8. Mai

Preis: Vierteljahr!. 40 kr. ohne Träger-
NNN lohn u. Postausschlag. Jns.-Geb. 2 tr. d.Z.

Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag,
Donnerstag und Samstag. s

Pf«!zer MH Bote



Gaden.
-s- Bom Neckar. Bekanntlich hat der frühere Schauspiel-
direktor Scholl, jetzt Prediger zweier „freireligiöser" Gemeinden
(Mannheim und Heidelberg), eine Broschüre erscheinen lassen,
„besonders für freisinnige Katholiken" bestimmt, worin er den
neuesten Fastenhirtenbrief des Hochwürdigsten Herrn Erzbischofs
Hermann „beleuchtet." Die Zurückweisung der in dieser Bro-
schüre enthaltenen Angriffe gegen die kakhol. Kirche hat sich ein
-n letzter Zeit in der Herderschen Verlagshandlung erschienenes
Schriftchen zur Aufgabe gemacht, welches den Titel führt: „Das
moderne Antichristenthum. Seine Ursachen und Waffen.
Ein offener Brief an Herrn Karl Scholl, Prediger der frei-
religiösen Gemeinden zu Mannheim u. Heidelberg, von Friedrich
Justus Knecht."
Wenn der Pfälzer Bote darüber berichtet, so verwahrt er
sich vor der Meinung, als ob die Scholl'sche Wirksamkeit und
Bedentnng große Aufmerksamkeit von seiner Seite verdiene und
der Bote deßhalb eine Widerlegung jenes „Predigers" als ein
wichtiges Ereigniß betrachte. Keineswegs; zumal wenn Scholl
als christlicher Prediger auftreten will, ist er leicht zu wider-
legen, denn sein Standpunkt ist, wie der Verfasser der Gegen-
schrift treffend aus dessen eigenen Worten nachweist, nicht nur
ein ungläubiger, unchristlicher, sondern auch ein durch grobe
Unwissenheit in den christlichen Glaubenslehren ausgezeichneter. '
Aber Knecht's Schrift enthält in so klarer Darstellung eine j
Charakteristik des heutigen Heidenthums, welches sich den Namen
des Christenthums anmaßt, daß dieselbe hauptsächlich aus
diesem Grunde vom Boten, welcher aus Mangel an Raum sich
auf eine Inhaltsangabe und warme Empfehlung zum Lesen be-
schränken muß, besprochen wird.
Die zehn, immer in Beziehung auf Sätze Scholl's ausge-
führten Abschnitte besprechen den neuesten Hirtenbrief
(nicht die Kirche hat stch dem modernen Staatsleben gegenüber
gestellt, sondern dieses ist der Kirche feindselig ent-
gegen getreten), den Standpunkt des Herrn Scholl,
weist die versuchte Apologie des Unglaubens zurück,
beweist, daß der Unglaube der Sünde entstammt (zu-
gleich Kritik der Bildung an unsern höheren Lehranstalten in
Rücksicht auf die Religion). Auch die Freisinnigen oder
die Altkatholiken^durften sich der Aufmerksamkeit des Hrn.
Verfassers erfreuen, sehr belehrend sind die Aufklärungen über
die Concilien zu Konstanz, Basel und Florenz und
deren StelMng zum Pap st t h u m. Ein Abschnitt gilt der
„gesunden Sinnlichkeit" oder dem Materialismus,
eine vortreffliche Abhandlung, welche in kurzen bezeichnenden Zügen
den Leser in dieser Frage orientirt. Die Bedeutung der Civil-
trauung darzulegen, ist der Zweck eines weiteren Kapitels,
sowie mit dem Ernst, der einer so heiligen Sache gebührt, die
Beicht besprochen und gegen frivole Angriffe vertheidigt wird.
Der letzte Abschnitt endlich zeigt die ganze Heuchelei der
Religion der Humanität in ihrer Nacktheit. Wir heben
aus dem reichen Mtoff dieses Abschnittes nur einige Sätze her-
vor, welche eingehend begründet sind. Die Humanität hat keinen
Glauoen, keinen Gott, „folglich ist die Humanität gar
keine Religion, sie ist nicht die „Erfüllung" aller Reli-
gionen, ffondern die Entleerung, die Negation aller Religion."
„Wenn L>ie es aber doch absolut — der Gimpel wegen — eine
Religion nennen wollen, so ist es eben die Religion der
Gottlosigkeit."
Nach dieser Lehre ist Alles, was menschlich ist: natürlich,
sittlich. Es gibt also bei ihr keinen Unterschied zwischen gut
und bös, Zwischen Tugend und Laster — die Humanität „ist
also auch keine Moral, sie hat keine Moral."
Schließen wir, indem wir das Knecht'sche Schriftchen ange-
legentlichst empfehlen, mit den Worten des Verfassers: „Es gibt
nur zwei Möglichkeiten: entweder Glaube, positiver,

christlicher Glaube, wie er leibt und lebt in der Kirche —
oder aber absolute Gottcslüugnung, Seelenläugnung, Nichtsitt-
lichkeit — absolute Jrreligion —modernes Heiden-
thum. Mit der Humanität als Religion ist es Nichts. Zwischen
diesen beiden müssen Sie, müssen die Altkatholiken u. s. w.
wählen."
„Und für diesen Wahlakt will ich Ihnen einen guten Rath
als Beistand geben: Wenn denn doch ein Gott wäre? Wenn
denn doch Christus dessen Sohn — und unser Richter wäre?
Wenn es doch eine Hölle gäbe? Möglich wäre es? Und was
dann?"-
§ Weinheim, 3. Akai. Gestern ist von hier eine Protest-
erklärung gegen die obligatorische Civilehe mit 100 Unterschriften
katholischer Männer an das Secretariat der hohen ersten Kam-
mer abgegangen. Auch ist eine fortschrittliche August-Lamey-
Adresse von hier an den Landgraben gewandert, zu deren Unter-
zeichnung die Leute per Polizeidiener und Viertelsmeister zu-
sammengetrommelt wurden. Die Meisten wußten gar nicht, um
was es sich eigentlich handelt.
-- Vom Brmhrhein, 3. Mai. Lieber Bote! Eben er-
fahre ich pon Schwetzingen folgende Neuigkeit, die ich Dir nicht
vorenthalten will. Den vergangenen Sonntag über lag im dor-
tigen Rathhaufe eine Vertrauensadresse an Staatsrath Lamey
zur Unterzeichnung auf, die, wie mir bemerkt wurde, ein eng-
lisches Pflästerlein abgeben sollte auf die Beulen, welche Herr
! v. Andlaw durch seine Anklage dessen angeblicher parteilosen
! Gerechtigkeitsliebe geschlagen hat. Die Adresse soll den dortigen
Amtsrichter zum Verfasser haben und ganz besonders von Pro-
testanten und Juden mit Unterschriften bereichert worden sein.
Auch gesinnungstüchtige Auchkatholiken sollen von dem Bürger-
meister dazu vorgeladen worden sein, von denen jedoch Einige
so ehrlich waren, hintennach zu bekennen, daß sie eben nur unter-
schrieben hätten, ohne zu wissen was. Andere Katholiken sind,
als sie den Inhalt und Zweck der Adresse erfuhren, wieder davon
gegangen, ohne zu unterschreiben. Vergangenen Montag wurde
die Adresse von einer Deputation Schwetzinger Bürger Herrn
Lamey unterthänigst zu Füßen gelegt. Diese Deputation bestand
aus dem dortigen Bürgermeister, Rentamtmann H., beide Pro-
testanten, einem jüdischen Brauereibesitzer und — man sollte
es eigentlich kaum glauben -— aus einem katholischen Stiftungs-
mitglied. Böse Zungen meinen, den Schwetzinger Fortschrittlern
sei's bei ihrer Adresse weniger um den Herrn Staatsrath, als
um ihre Eisenbahn zu thun. (Wenn wirklich das der Fall sein
sollte, da sind die Schwetzinger arg ans dem Holzweg; denn in
Karlsruhe denkt kein Mensch daran, eine Bahn von Mannheim
über Schwetzingen-Philippsburg nach der Residenz zu bauen.
Wer's nicht glauben will, mag selbst nach Karlsruhe gehen und
hören: man wird ihm dort offen ins Gesicht lachen. Der Bote.)
M Bruchsal. Herr Smatsrath Lamey soll nach dem Kraich-
gauboten der Abordnung, welche ihm eine Adresse von hier über-
reicht hat, erwiedert haben, „daß diese Kundgebung für
ihn um so werthvoller sei, als solche aus einer
Stadt komme, deren Bewohner größtentheils der
katholischen Kirche an gehören." Abgesehen davon, daß
der Herr Minister vergißt, oaß es auch Protestanten gibt, die
nichMnit ihm zusrieden sind, würde übrigens diese Adresse das
Werthvolle um so schneller verlieren, je schleuniger Hr. Staats-
rath Lamey sich der Mühe unterzöge, die Unterschriften genauer
zu betrachten.
Rechnet man nämlich.die Juden, die hauptsächlich sich zur
Unterzeichnung herbeidrängten, davon ab, so bleibt noch een Rest
von Protestanten und von solchen Katholiken, die nur noch äußer-
lich der Kirche angehören, und in politischer Beziehung von Ser-
vilen, die jedem Ministerium eine derartige Ovation bringen,
wenn es nur dem Vorgesetzten recht ist.
Die Schlagwörter in der Adresse selbst, die der Kraichgau-
bote zur Nachahmung bringt, als: „schmähliche Angriffe", „Wider-
 
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